Wahlrecht für Kinder - Eine Streitschrift

Mike Weimann


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Inhalt

Vorwort

Auf die Frage einer Reporterin auf einer Pressekonferenz 1995 zur Aufhebung der Wahlaltersgrenze, ob denn ei­nem Fünfjährigen neben dem Wahlrecht auch die Mög­lichkeit einzuräumen sei, den Führerschein zu machen, antwortete der damals dreizehnjährige Rainer Kintzel aus Berlin: Na klar, wenn er die Prüfung in Theorie und Praxis besteht! Natürlich hatte Rainer Kintzel die La­cher auf seiner Seite.

Zwei »Minderjährige« haben damals in der Öffent­lichkeit, unterstützt von engagierten Kinderrechtlern, ei­nen mündigen und selbstbewussten Eindruck bei der Frage hinterlassen, ob denn Menschen, die die Voll­jährigkeit noch nicht erreicht haben, wählen dürften. Sie haben mit Unterstützung des Münchener Rechtsanwalts Peter Merk das Bundesverfassungsgericht angerufen und eine Verfassungsbeschwerde angestrengt. Leider vergebens. Die zuständige Kammer hat abgelehnt, sich damit zu befassen. Viele Gründe sprechen jedoch dafür, dass dies nur vorläufig ist. Zunehmend wird die Frage öf­fentlich diskutiert, ob Kinder in unserer Gesellschaft rei­ne Privatsache und bestenfalls der elterlichen und staatli­chen Fürsorge und des Schutzes bedürfen, oder ob sie nicht vielmehr als Partner begriffen werden müssen. Für das Engagement des Staates, der Steuermittel einsetzt, heißt das: Kinder dürfen nicht länger als so genannte kon­sumtive Ausgabe begriffen werden, sondern vielmehr als Investition in die Zukunft.

In den 90er Jahren haben Reformen stattgefunden, die für eine Neubewertung der Generationenfrage im politi­schen Raum stehen. Der so genannte Familienlastenaus­gleich ist bearbeitet worden und hat zu einer Kinder­gelderhöhung geführt. Das Kindschafts-, Umgangs- und Sorgerecht wurde neu gestaltet. Gewalt von Eltern ge­genüber Kindern ist inzwischen per Gesetz verboten. Begleitet wird dieser Prozess auch von internationalen In­itiativen wie der UN-Kinderrechtskonvention. Entschei­dend für den Paradigmenwechsel sind zwei Faktoren, die Druck auf die Politik erzeugen, das Verhältnis der Gene­rationen neu zu justieren. Zum einen sind es die sozialen Herausforderungen, die viele, vor allem junge und kin­derreiche Familien mit Armut konfrontieren und im All­tag auszugrenzen drohen. Zum anderen ist es die post­industrielle, sich herausbildende Wissensgesellschaft, die Bildungspolitik und Bildungsinfrastruktur in den Mittel­punkt des politischen Entscheidens rückt. Trotz dieser Veränderungen und Debatten muss noch von einem gra­vierenden Demokratiedefizit ausgegangen werden. Zwar sind in den letzten zehn Jahren Kinderbüros, Kinder­sprechstunden bei Bürgermeistern, Kinder- und Jugend­parlamente und Beteiligungen an Sanierungs- und Ver­kehrsprojekten aus dem Boden geschossen. Partizipati­on heißt das Schlagwort dafür. Doch nachhaltige Wirkung wird nur dort erreicht, wo neben der örtlichen Vernetzung auch tatsächlich engagierte Politiker am Werke sind. Gute Kondition ist gefordert. Eine PR-Nummer mit Kindern, die bekanntlich Sympathieträger sind, ist schnell organisiert – verbesserte Lebenslagen benötigen einen langen politischen Atem.

Kinderverbände und Netzwerkorganisationen im Zu­sammenspiel mit den unterschiedlichsten Partnern (auch aus der Wirtschaft) geben durchaus schon Impulse, doch die bislang eher einflusslosen Lobbyisten haben längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Ohne engagierte Menschen vor Ort wären die Kinderlobbyisten nur die tragischen Rufer in der Wüste. Die demokratischen De­fizite, der Druck der Praxis und die gesellschaftlichen Herausforderungen beschleunigen jedoch ein Politik­feld, das bisher nur der parlamentarischen Hinterbank reserviert schien. Bei nüchterner Betrachtung stellt man aber fest: Die Erwachsenenwelt ist beflissen dabei, ihre Besitzstände zu verteidigen. Wo es zwischen den Genera­tionen wirklich ernst wird (wie bei der Rentenreform), droht die neue Generationenpolitik schnell an ihr Ende zu gelangen. Eingeführte Rollenmuster werden nur zu gerne reproduziert, um alles weit gehend so zu lassen, wie man es gewohnt ist. Die neuen generationenüber­greifenden Initiativen als Lippenbekenntnisse zu insze­nieren, dieses Verfahren scheint Schule zu machen, ganz abgesehen davon, dass derartige Strategien unter der jungen Generation geradezu seismografisch wahrge­nommen und den Riss zwischen den Generationen eher vertiefen werden. Die Generationenpolitik der 90er Jah­re braucht heute eine Zuspitzung. Mike Weimann macht mit seinem Buch die Probe aufs Exempel. Beim Wahl­recht wird es ernst. Die politische Partizipation bei Wahlen zu den verschiedenen Parlamenten ist »Minder­jährigen« bislang vorenthalten – mit Ausnahme der Kommunalwahlgesetzgebung einiger Bundesländer, die 16-Jährigen das Wahlrecht einräumt. Die Forderung, die Altersgrenze generell fallen zu lassen, verunsichert die bestehenden politischen Kartelle und Lobbystrukturen. Ein Schwarm potenzieller Wähler will umworben, poli­tische Handlungsfelder werden neu zu bewerten sein. Plötzlich werden neben den Lehrergewerkschaften auch Schülervertretungen, die die eigene Vorstellungen von Bildungstransfer und demokratischer Schule vertreten, zum wichtigen Faktor. Es gibt sie zwar schon, nur agie­ren sie bisher weit gehend folgenlos, wenn sich nicht po­litische Akteure oder Praktiker für sie verwenden.

Weimanns Vorstoß hat eine Entsprechung in der aktu­ellen Jugendschutzdebatte. Auch dort werden die Alters­grenzen angegriffen. Kinderrechte und wirtschaftliche Interessen gehen hier eine nicht risikolose Koalition ein. Aber bei der Doppelmoral, auf der einen Seite die Kinder vor den Verführungen des Konsumterrors schützen zu wollen, ihnen aber auf der anderen Seite in Deutschland jährlich acht Milliarden Euro Taschengeld zur Verfü­gung zu stellen, muss der Blick auf den gordischen Kno­ten fallen: Kinder werden entweder als Schutzobjekte ins Licht gerückt oder ihrem Schicksal im Schatten überlas­sen. Dass für Kinder und Jugendliche der Jugendschutz als ein Terrorinstrument der Erwachsenenwelt ins Spiel kommen kann oder auf der anderen Seite das Desinteres­se der Erwachsenen an den Lebenswelten der Kinder unübersehbar scheint, ist die Kehrseite dieser Medaille. Hinter Weimanns Vorstoß, diesen gordischen Knoten zu lösen, steht das legitime Verständnis von einer auf Part­nerschaft beruhenden Gesellschaftspolitik. Neu daran ist, dass dies generationenübergreifend gedacht ist.

Kinder und Jugendliche als Partner zu begreifen, heißt natürlich nicht, dass Eltern und Staat ihre Schutzfunkti­on kündigen dürften. Sie muss aber zwischen den Gene­rationen ausgehandelt werden. Demokratie ist ein dis­kursiver Prozess. Kinder und Jugendliche davon aus­zuschließen ist unzeitgemäß. Auch in der stabilen parla­mentarischen Demokratie können immer wieder Poten­ziale der Demokratisierung entdeckt werden. In diesem Fall berühren sie das für jede Gesellschaft essenzielle Zu­sammenleben der Generationen. Wie dieser Weg zu be­schreiten ist, wird die Zukunft zeigen müssen. Fest steht, dass hierfür ein Mindestmaß an Konsens erzielt werden muss. Mike Weimann unterstützt diesen Prozess durch sorgfältige Argumentation und das Zusammentragen al­ler relevanten Fragen. Unabhängig davon, ob man seine Position teilt oder (noch) nicht, hält man ein Buch in den Händen, das in der kinderpolitischen Diskussion hinrei­chend für Sprengstoff sorgt.

Thomas Krüger

Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes

Berlin, September 2002

1. An alle Kinder! Auch für eilige Leser geeignet!

Was für Kinder gut ist – ist auch für Erwachsene gut! Weil ich diesen Spruch richtig finde, möchte ich Euch am An­fang dieses Büchleins den Inhalt mit einfachen Worten er­zählen. Natürlich nur in einer Kurzfassung. Erwachsene, denen das nicht gefällt, können gleich zum Kapitel 2 wei­terblättern. Ab dort steht alles ganz ausführlich. Denjeni­gen Kindern, die mehr als dieses erste Kapitel lesen möch­ten, wünsche ich einen freundlichen Erwachsenen, der die Sachen (Fremdwörter) erklären kann, die man als Kind nicht gleich versteht. Und wenn sich keiner findet, könnt Ihr mir gern schreiben; meine Adresse steht ganz am Ende im Buch. Ich werde Euch bestimmt antworten, egal ob Ihr eine Frage oder einen Verbesserungsvorschlag habt.

Kinder sollen das Wahlrecht bekommen – das ist die For­derung dieses Buches. Wer das Wahlrecht hat, darf mit­bestimmen: über die Politiker und über die Parteien, die das Land regieren. Unsere Volksvertreter, die Abgeord­neten im Landtag oder im Bundestag, kümmern sich vor allem um Probleme der Menschen, deren Wahlstimme sie haben wollen. Für ihre Wähler tun sie alles Mögliche, zum Beispiel schlagen sie neue Gesetze vor, die diesen Leuten nützen. Sie wollen, dass es ihren Wählern gut geht – und dass sie selbst wieder gewählt werden. Weil Kinder nicht wählen dürfen, tun sie ziemlich wenig für Kinder und für die Zukunft. Und das soll geändert wer­den.

Zurzeit dürfen nur Menschen wählen gehen, die schon 18 Jahre alt sind. Viele möchten, dass das auch so bleibt. Sie sagen, dass Kinder noch zu dumm zum Wählen sind, dass ihnen die Erfahrung fehlt, dass sie keine Ahnung von Politik haben und deshalb die »falsche« Partei wäh­len würden. Manche haben auch Angst, dass Kinder »an die Macht« kommen könnten. Wenn Kinder regieren, geht alles drunter und drüber, denken sich diese Erwach­senen, und das wollen sie mit der Altersgrenze von 18 Jahren verhindern. Andere sagen, dass manche Kinder noch nicht mal lesen können und deshalb gar nicht ver­stehen, was auf dem Wahlzettel steht, auf dem am Wahl­tag das Kreuz gemacht werden soll. Viele sagen, dass Kinder ganz leicht beeinflussbar sind und sowieso nur genauso wählen würden wie ihre Eltern. Oder dass sie sich von den Politikern belügen oder austricksen lassen. Diese Gegner des Kinderwahlrechts fürchten, dass die Politiker im Wahlkampf Gummibärchen verschenken, und wenn sie gewonnen haben, gar nichts für Kinder tun wollen. Einige Gegner des Kinderwahlrechts glauben, dass Kinder so lange wie möglich spielen und nicht mit Politik belästigt werden sollen. Außerdem soll angeblich nur derjenige Rechte haben, der auch Pflichten hat. Und da Kinder weniger Pflichten haben, sollen sie auch nicht wählen gehen.

Es gibt also, wie man sieht, viele Begründungen dafür, die Altersgrenze beim Wahlrecht so zu lassen, wie sie ist. Wer trotzdem (so wie ich) möchte, dass Kinder auch bei Wahlen mitbestimmen können, der muss auf all das eine Antwort haben. Zum Glück gibt es weltweit und schon seit vielen Jahren Leute, die über die Vorteile und Proble­me des Kinderwahlrechts nachgedacht haben. Schon vor fast 30 Jahren schrieb der Amerikaner Richard Farson das Buch »Menschenrechte für Kinder«, in dem er unter anderem begründet, warum das Wahlrecht auch für Kin­der wichtig ist. In Deutschland sind sogar einige Jugend­liche zum Obersten Gericht nach Karlsruhe gezogen und haben sich darüber beschwert, dass sie nicht mitwählen dürfen. Es ist also kein Wunder, dass fast alle Fragen schon gestellt wurden, die das Kinderwahlrecht auf­wirft. Die ausführlichen Antworten folgen in den näch­sten Kapiteln. Aber schon hier möchte ich die häufigsten Fragen einmal kurz beantworten.

Warum sollen Kinder das Wahlrecht bekommen?

Heutzutage brauchen sich Politiker nur wenige Gedan­ken um Probleme von Kindern zu machen. Sie werden auch wieder gewählt, wenn sie Beschlüsse fassen, die für Kinder schlecht sind. Die jetzigen Politiker hängen von den Wahlstimmen der älteren Leute ab. Von denen ist es vielen egal, wer den Umweltschmutz von heute später wegräumt (wenn das überhaupt noch möglich ist) und ob die Rohstoffe auch für die Menschen in 50 Jahren noch reichen. Sie machen jetzt Schulden, leisten sich ein schö­nes Leben – zurückzahlen müssen es irgendwann die, die jetzt Kinder sind. Aber auch schon für die Gegenwart entscheiden Politiker manche Sachen schlecht, zum Bei­spiel wie die Schule funktioniert und was Kindern alles verboten wird. Könnten Kinder mit abstimmen, müss­ten Politiker auf ihre Meinung Rücksicht nehmen, und sie würden sich mehr um die Zukunft kümmern, weil die für Kinder besonders wichtig ist.

Außerdem ist es eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn es Regeln und Gesetze gibt, an die man sich halten soll, muss man auch Einfluss auf die Menschen haben, die die­se Regeln und Gesetze machen. Für Kinder gilt das zur­zeit nicht, sie werden in diesem Punkt nicht ernst genom­men. Ihnen werden Regeln vorgesetzt, ohne dass sie sich dagegen wehren können. Das verstößt sogar gegen die Menschenrechtserklärung, die für alle Menschen auf der Welt gilt.1

Ab welchem Alter sollen Kinder wählen dürfen?

Das Wahlrecht soll ab Geburt gelten. Praktisch bedeutet das nichts anderes, als dass jeder Mensch wählen gehen kann, sobald er will – egal wie alt er ist. »Ab Geburt« klingt immer so, als ob auch Säuglinge und Kleinkinder wählen gehen sollen. Sie »sollen« aber gar nicht wählen. Kein Mensch »soll« wählen, wählen ist immer freiwillig. Und deshalb werden erst diejenigen wählen gehen, die sich dafür interessieren. Es ist so ähnlich wie mit dem De­monstrationsrecht: Auch das gilt ab Geburt, aber nie­mand regt sich darüber auf. Wer noch nicht demonstrie­ren kann, dem braucht es deshalb nicht verboten zu werden! Das Wahlrecht ohne Altersgrenze muss gefor­dert werden, weil jede Altersgrenze ungerecht für die wäre, die wählen wollen, aber das jeweilige Alter gerade noch nicht erreicht haben. Eine Altersgrenze ist vor al­lem auch deshalb ungerecht, weil das Wahlrecht ein Recht »des Volkes« ist – so steht es im Grundgesetz der Bundesrepublik. Zum Volk gehören aber auch die Kin­der, nicht nur die Erwachsenen.

Sind Kinder zu unreif zum Wählen?

Am besten wäre es, wenn nur ganz reife, also kluge Ent­scheidungen gefällt würden. Niemand möchte von un­reifen Menschen abhängen. Aber wer legt fest, was reif und klug ist? Soll es einen Reifetest fürs Wählen geben? Was wäre mit den Erwachsenen, die ihn nicht bestehen? Jeder weiß zudem, dass viele Menschen unter 18 Jahren viel klüger sind als so mancher Erwachsene.

Erwachsene haben natürlich(!) mehr Lebenserfah­rung. Daraus kann aber nicht geschlussfolgert werden, dass sie reifer, also ihre Entscheidungen klüger sind. Mit zunehmender Erfahrung kann man nämlich auch verfes­tigten Vorurteilen und vereinfachten Weltanschauungen anhängen.

Die Menschen haben schon vor langer Zeit erkannt, dass Wahlen nur gerecht sind, wenn wirklich alle wählen können. Seitdem heißt es »Ein Mensch – eine Stimme«. Am Ende werden die Stimmen gezählt, und gewählt ist, wer die meisten Stimmen bekommen hat. Niemand muss seine Wahlentscheidung begründen. Es gibt auch keine Kontrolle. Von Reife und Klugheit ist keine Rede mehr – außer bei Kindern. Und das ist ungerecht.

Verstehen Kinder genug von Politik?

Heutzutage ist die Politik eine schwierige Angelegenheit. Kaum jemand versteht, wie alle Einzelheiten zusammen­hängen. Selbst die Experten, die Berufspolitiker, sind sich oft uneinig. Zu ein und der selben Frage gibt es meist unterschiedliche Vorschläge. Zum Beispiel: Ist die Auto­bahn durch das Naturschutzgebiet gut oder schlecht? Die Antwort lautet: Es kommt drauf an, wofür! So sind die einen dafür, die anderen dagegen. Wer von beiden versteht nun etwas von Politik?

Außerdem stehen bei Wahlen nur wenige Parteien zur Auswahl. Jeder Wähler überlegt, welche Partei insge­samt, im Großen und Ganzen, seinen persönlichen Vor­stellungen am Nächsten kommt. Das fällt vielen Men­schen schwer, sie müssen sich nämlich für ein Bündel von Zielen entscheiden und nicht nur für oder gegen eine Au­tobahn. Also entscheiden sich viele nach dem Ruf, den die Partei hat und danach, ob sie den Politikern vertrau­en. Manche entscheiden sich auch dafür, gar nicht wäh­len zu gehen. All das können auch Kinder.

Sind Kinder zu sehr beeinflussbar?

Selbstverständlich sind die meisten Kinder beeinflussba­rer als die meisten Erwachsenen. Sie kennen viele Hinter­gründe noch nicht. Deshalb kann Kindern leicht etwas eingeredet werden. Wenn Kinder das Wahlrecht haben, muss das gerade im Wahlkampf sehr ernst genommen werden. Die Gefahr, dass Kinder massenhaft belogen und zu ihrem Nachteil beeinflusst werden, ist aber nicht so groß, wie angenommen wird. Sie werden sich nämlich mit vielen Menschen unterhalten. Sie werden die ver­schiedenen Meinungen vergleichen, die sie zu Hause, in der Schule, auf der Straße und im Fernsehen hören. Da­bei haben plumpe Falschbeeinflussungen keine große Chance. Es wird sich herumsprechen, wer die Kinder hinters Licht führen will, bloß um ein paar Stimmen mehr zu ergattern.

Genügt es, die Altersgrenze ein paar Jahre zu senken?

Es gibt Vorschläge, die Altersgrenze von 18 auf 16 oder 14 Jahre zu senken. Das ist halbherzig. In diesem Fall bleibt zwar nicht alles, aber vieles beim Alten. Die hinzu­kommenden Wähler sind ja schon reif, es sind fast Er­wachsene – diese Haltung steckt dahinter. Tatsächlich sind die älteren Jugendlichen mit vielen Problemen von Kindern gar nicht mehr vertraut, denn sie haben die Schule fast schon verlassen und beschäftigen sich mit ganz anderen Sachen. Viele ältere Jugendliche blicken sogar auf die Jüngeren herab, als seien sie weniger wert. Wird das Wahlalter nur um wenige Jahre gesenkt, be­steht also die Gefahr, dass die Politiker sich nicht viel mehr als bisher um die Kinder und ihre Zukunft zu küm­mern brauchen.

Jede neue Altersgrenze ist außerdem ungerecht für all die Menschen, die unter dieser Grenze liegen. Sie werden weiterhin nicht ganz ernst genommen.

Sollen die Eltern für Kinder wählen, als Stellvertreter?

Manche schlagen vor, dass Kinder zwar das Wahlrecht haben, aber ihre Stimme nicht selbst abgeben sollen. Das Stimmrecht soll bei diesem Vorschlag bei den Eltern blei­ben. Hinter diesem Gedanke steckt, dass der Staat Fami­lien mit Kindern zurzeit weniger hilft als Rentnern und Kinderlosen. Mit den zusätzlichen Stimmen der Eltern soll in der Politik ein Gegengewicht gegen diejenigen Po­litiker und ihre Wähler geschaffen werden, denen die Kinder- und Familienprobleme egal sind. Dieses Gegen­gewicht ist sicher nötig, aber wenn Eltern stellvertretend abstimmen, dann bedeutet das nichts weiter, als dass Kinder bis zum 18. Lebensjahr immer noch nichts zu sa­gen haben. Sie werden weiterhin nicht ernst genommen. Ihre Meinung ist unwichtig. Es kann zwar sein, dass Fa­milien dann zum Beispiel weniger Steuern zahlen müs­sen. Aber ob das den Kindern zugute kommt, das ent­scheiden wieder die Erwachsenen.

Zahlreiche Eltern verlangen zum Beispiel von der Schul-, Friedens-, Umwelt- und Finanzpolitik ganz ande­re Entscheidungen, als ihre Kinder das tun würden, wenn sie selbst wählen dürften. Wie jeder aus eigener Er­fahrung weiß, haben Eltern und Kinder häufig sehr un­terschiedliche Vorstellungen von der Welt.

Wollen Kinder überhaupt wählen?

Diese Frage wird immer wieder gestellt, weil viele Ju­gendliche bei Umfragen sagen, dass sie gar nicht wählen wollen. Das kommt vermutlich daher, dass viele an den Gedanken gewöhnt sind, unmündig und ausgeschlossen zu sein. Vielleicht liegt es auch daran, dass nicht viel zur Aus-Wahl steht und der Wahlkampf in der heutigen Zeit langweilig ist. Aber selbst, wenn sie nicht wählen wollen, wäre das kein Grund, ihnen das Wahlrecht nicht zu ge­ben oder wegzunehmen. Es wird auch niemandem das Recht auf Versammlungsfreiheit weggenommen, bloß weil er sich nicht mit anderen versammeln will. Außer­dem darf das Wahlrecht auch nicht von einer Mehrheit der Kinder und Jugendlichen abhängen. Was soll denn dann die Minderheit dazu sagen? Was tun, wenn ein ein­ziges Kind wählen will? Wahlrecht bedeutet: Wenn ich wählen möchte, darf mich keiner daran hindern.

Was wird sich durch das Kinderwahlrecht verbessern?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Parteien und Po­litiker mehr um Kinder und deren Interessen kümmern. Sie werden deshalb ihre Wahlprogramme und ihre Poli­tik ändern müssen und neue Themen aufnehmen, zum Beispiel die Schule interessant machen. Und sie müssen in klareren Worten sprechen. Wenn sie ihre Politik nicht verständlich erklären, werden sie die Kinder nicht über­zeugen. Das ist übrigens auch für die Erwachsenen gut, denn selbst die verstehen heutzutage oft nicht, was die Politiker eigentlich meinen. Außerdem – und das ist viel­leicht das Wichtigste – werden alle Menschen anfangen, Kinder ernster zu nehmen als bisher. Es wird sich herum­sprechen, dass Kinder auch vollwertige Menschen sind, die mitbestimmen. So wie damals, als die Frauen das Wahlrecht erhielten, werden es diesmal die Kinder sein, die allmählich immer seltener von oben herab behandelt werden. Sie werden sich deshalb auch selbst nicht mehr fühlen wie halbe Menschen, auf die nicht gehört zu wer­den braucht. Alle werden erkennen, dass die Gleichbe­rechtigung zwischen Kindern und Erwachsenen – nicht nur in der Politik – die beste Art ist, ein glückliches Leben zu führen. Kinder, die von Anfang an gerecht behandelt werden, sind vermutlich auch als Erwachsene freundlich zu ihren Kindern.

Mit dieser schönen Aussicht beende ich das erste Kapi­tel. Die wichtigsten Fragen und Antworten habt Ihr also schon gelesen. Es gibt natürlich noch viele Einzelheiten zu besprechen. Um die geht es jetzt Stück für Stück in den folgenden Kapiteln. Aber Achtung! Ab jetzt kommen lange Sätze und Fremdwörter vor.

2. Wer interessiert sich für das Kinderwahlrecht?

Wer interessiert sich schon für das Kinderwahlrecht!? Seit Jahren gerät das Thema zwar immer wieder kurzzei­tig in die Presse, aber ein ganzes Buch dazu erscheint vie­len Menschen unangemessen, wozu also der Aufwand?

Ich möchte, dass die Vorteile eines echten Kinderwahl­rechts zur Kenntnis genommen und nachvollziehbar werden. Ich habe im Laufe der Zeit viele Menschen ge­troffen, die sich zu aktiven Verfechtern des Wahlrechts für Kinder entwickelt haben. Das Kinderwahlrecht ist zurzeit zwar noch nicht mehrheitsfähig, aber wenn die Vorzüge bekannt werden und sich herumspricht, dass der praktischen Umsetzung nur geringe Probleme im Weg stehen, dann kann sich auch das ändern.

Seit über zehn Jahren befasse ich mich mit dem Wahl­recht für Kinder und diskutiere mit vielen Menschen da­rüber. Viele Gegenargumente habe ich schon tausend Mal gehört. Die spontane Abwehrhaltung gegen die Vorstellung, dass Kinder Wahlbürger werden sollen, ist mir vertraut. Ehe man bereit ist, über das Kinderwahl­recht zu sprechen, muss man einige seiner persönlichen Gewiss-heiten in Frage stellen. Das fällt bekanntlich nicht leicht. Hier geht es gleich um zwei große Fragen der Menschheit: die Demokratie und die Kinderfrage. Bei­des sind komplizierte Dinge, die von den meisten Men­schen nebenbei gelernt und verstanden werden müssen. Die wenigsten sind Experten, obgleich jedem dazu eine Meinung abverlangt wird. Was Kinder sind, wie Kinder erzogen werden müssen – das weiß doch jeder! Warum, wie und was gewählt wird, wie das Wahlsystem gedacht ist und funktioniert, auch das ist – vorgeblich – Allge­meingut. Im Einzelfall mögen Wissenslücken einge­räumt werden: Wer weiß schon, welche Grenzen für Kin­der die richtigen sind oder was der Sinn von Erst- und Zweitstimme ist?! Aber deshalb gleich zugeben, dass man eigentlich keine Ahnung hat? Also werden alte Überzeugungen übernommen und Klischees verteidigt, die ganz plausibel klingen, an die man gewöhnt ist. Leicht ist man damit auf der Seite der Mehrheit, der Er­fahrung oder – wie es das Bundesverfassungsgericht im Falle des Wahlalters nennt – der »historischen Erhär­tung«. »Es war schon immer so«–diese Auffassung taugt jedoch nicht im Zeitalter von Weltraumfahrt und Globalisierung.

In welchem Stadium befindet sich die Debatte um das Kinderwahlrecht gegenwärtig? Das Wahlalter bei Kom­munalwahlen liegt in einigen Bundesländern inzwischen bei 16 Jahren. Die Sache ist in Bewegung gekommen. Könnte man meinen. Manche Leute nennen diesen Schritt aber unlogisch und halbherzig. Sie fordern – so wie ich – die völlige Abschaffung der Altersgrenze und finden sogar Unterstützung bei anerkannten Persönlich­keiten und Institutionen wie der ehemaligen Berliner Ju­stizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit und einer der großen deutschen Kinderhilfsorganisationen, dem Deut­schen Kinderhilfswerk. Ein Mensch – eine Stimme, die­ses Grundprinzip der Demokratie ist nicht erfüllt, so be­gründen sie unter anderem ihren Einsatz.

Ohne Altersgrenze geht es nicht, sagen die anderen. Kinder würden den größten Unsinn ankreuzen; je jünger, umso schlimmer. Sie wären durch das Wahlrecht ihrer ungestörten Kindheit beraubt, die zum Spielen und nicht zum Politik-Machen da sei und so weiter. Die Verteidiger des Status quo berufen sich auf den gesunden Menschen­verstand. Manche sind fassungslos. Wie können sich die Befürworter des Kinderwahlrechts diesen – und einigen anderen – Argumenten nur verschließen?2

Die Auseinandersetzung fällt in eine Zeit, in der immer mehr Menschen zu der Überzeugung kommen, dass Kin­der und Jugendliche wichtige und bisher vernachlässigte Mitglieder unserer Gesellschaft sind. Die politische Be­teiligung von Kindern ist zum Dauerbrenner in den Fachdebatten der Pädagogen, Sozialarbeiter, Soziolo­gen, aber auch der Stadtplaner, Kommunalpolitiker und jüngst sogar von Bundestagspräsident, Bundesregierung und Europäischer Union geworden. Es weht ein neuer Wind; Kinder werden ernster genommen als noch vor wenigen Jahren. Immer öfter ist die Rede vom Subjekt­status der Kinder. Kinderrechte sind Menschenrechte, so das Motto der »National Coalition« zur Durchsetzung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen in Deutschland. Das »Aktionsbündnis Kinderrechte«, be­stehend aus den vier größten deutschen Kinderhilfsorga­nisationen, veranstaltet bundesweit »Kinderrechtewah­len« und eine »Karawane für Kinderfreundlichkeit« zieht mit riesigen Trucks durchs Land. »Kinder haben Rechte« heißt eine ZDF-Fernsehserie. Wortungetüme wie »Bundesinitiative Beteiligungsbewegung« und »Ser­vicestelle Jugendbeteiligung« machen die Runde. Fast könnte man meinen, ein Ruck sei durch unser Land ge­gangen.

Doch Zweifel sind angebracht und vor zu großem Op­timismus muss gewarnt werden. Die Zugeständnisse, die Kindern neuerdings gemacht werden, finden fast nur in­nerhalb von Kinderinstitutionen und in manchen Famili­en statt. Und selbst dort grenzen pädagogische Überle­gungen Selbstbestimmung und Persönlichkeitsentwick­lung ein. Um sie an gesellschaftlichen Entscheidungen zu beteiligen, fehle den Kindern Kompetenz und Reife, lau­ten die Bedenken.

Tatsächlich bewirken die für Kinder und Jugendliche geschaffenen gesellschaftlichen Strukturen immer noch ihre Ausgrenzung aus dem Erwachsenenleben. Sogar Ju­gendorganisationen wie die BundesschülerInnenvertre­tung, in denen kleine Kinder keine Rolle spielen und etli­che Mitstreiter schon über 18 Jahre alt sind, kämpfen laufend um ihre Anerkennung. Ob der Grund hierfür die Orientierung am (nebulösen) Begriff des Kindeswohls ist, oder ob bloß die Störung der »ernsthaften« Welt der Erwachsenen vermieden werden soll, kann dahingestellt bleiben. Die Formel von der »Nutzlosigkeit, ein Spiel­kind zu sein«3 bringt es auf den Punkt. Selbst die nicht zu leugnende naturgegebene Entwicklungstatsache, dass Kinder auf Schutz, Versorgung und Unterstützung ange­wiesen sind und über weniger Erfahrung und Wissen verfügen als Erwachsene, kann diese Ausgrenzung nicht rechtfertigen.

Wenn Kinder wirklich ernst genommen werden müs­sen, stellt sich die Frage, wie das geschehen soll. Das Kin­derwahlrecht stellt in diesem Kontext eine Art Prüfstein dar. Die bisher zu diesem Thema geführte Debatte ist un­geordnet und in vielen Punkten nicht über ihre Anfänge hinausgekommen. Besonders diejenigen Probleme und Interessen von Kindern, die deren unmittelbare Gegen­wart betreffen, kommen dabei zu kurz. Eher stehen die langfristig zu erwartenden finanziellen und ökologi­schen Probleme der Gesellschaft im Vordergrund. Wird eine Lösung in Angriff genommen, wird sie in Stellver­tretermodellen wie der Übertragung des Stimmrechts der Kinder auf die Eltern oder in der Senkung des Wahl­alters um ein, zwei Jahre gesucht.

Gegen das Kinderwahlrecht scheint auch zu sprechen, dass die Gesetzgebung zum Wahlrecht durch große Re­gelungsdichte und Formstrenge gekennzeichnet ist. Än­derungen sind schon deshalb mit Schwierigkeiten ver­bunden. Andererseits gibt es kein »richtiges« Wahlrecht. Die in der Vergangenheit vollzogenen Änderungen am Wahlrecht belegen, das ewig geltende Grundsätze nicht existieren, denn im Spannungsfeld von Politik und Recht werden staatsrechtliche, verfahrensrechtliche und orga­nisatorisch-technische Normen immer wieder neu fest­gelegt. So gehört das Wahlrecht zu den Rechtsdiszipli­nen, die in hohem Maße von sich verändernden poli­tischen und verfassungsrechtlichen Entwicklungen ab­hängig sind.4

Hier knüpft dieses Buch an. Es unterbreitet aus kinder­und jugendpolitischer sowie menschenrechtlicher Per­spektive einen Vorschlag für ein Kinderwahlrecht ohne Stellvertretung.

3. Was lässt sich vom Kinderwahlrecht erhoffen?

Allen großen Änderungen staatlicher Regeln haften Un­sicherheiten an. Auch die Verbesserungen und gegebe­nenfalls Verschlechterungen der gesellschaftlichen Ver­hältnisse nach der Einführung eines Kinderwahlrechts lassen sich nicht genau vorhersagen. Die Risiken unter­suche ich vor allem im Kapitel »Wie soll das Kinder­wahlrecht praktisch funktionieren?«

Was aber spricht für das Kinderwahlrecht? Wie argu­mentieren seine Befürworter, wenn sie sich trotz der teil­weise unbekannten Auswirkungen für Änderungen am hochkomplexen politischen System einsetzen?

Einige Fürsprecher verweisen rein formal (»prinzipi­engestützt«) auf juristische und demokratietheoretische Argumente. Sie berufen sich auf die Formel: »Ein Mensch – eine Stimme«, also auf den Allgemeinheits­grundsatz, das zentrale Element des Demokratieprin­zips, der zwar im Grundgesetz festgeschrieben, aber nicht erfüllt ist. Darum wird es in den nachfolgenden Ka­piteln gehen.

Andere Befürworter orientieren sich an den prakti­schen Konsequenzen der Wahlrechtsänderung. Einer­seits versprechen sie sich Verbesserungen der jeweils ak­tuellen Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendli­chen. Andererseits streben sie eine gerechtere Familien-und Zukunftspolitik an. Beide Probleme möchte ich in den beiden nächsten Abschnitten umreißen, um zu ver­deutlichen, wo und warum Änderungen notwendig sind.

In der Gegenwart

»Ich bin in Bayern auf dem Land aufgewachsen. Ich musste bis zum zehnten Lebensjahr an Schultagen um sieben Uhr ins Bett. Das habe ich übernommen«, ant­wortete Kanzlergattin Schröder-Köpf auf die Frage, ob sie eine strenge Mutter sei.5

Lafontaine-Gattin Christa Müller findet einen Klaps »ganz okay«. Sie gab ihrem Sohn Carl Maurice (2) einen Klaps und verzieh ihm nicht, bis er sich entschuldigte. »Das geht nicht anders, da muss man gegen seine Ge­fühle Härte zeigen«, sagte sie mit Billigung ihres Ehe­mannes.6

1,4 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren werden in Deutschland jährlich von ihren Eltern miss­handelt. Nimmt man körperliche Züchtigungen wie den »Klaps auf den Po« und die Ohrfeigen dazu, kommt der Kinderschutzbund auf elf Millionen Minderjährige pro Jahr.7

Die Ohrfeige ist die häufigste Form der häuslichen Er­ziehungsstrafen (81,2 Prozent). Der Vergleich mit ande­ren Strafen wie Fernsehverbot (66,7 Prozent), Ausgeh­verbot (64,2 Prozent), Niederbrüllen (52 Prozent), Kürzung des Taschengeldes (34,5 Prozent) und Schwei­gen (36,9 Prozent) zeigt die herausgehobene Bedeutung der »leichten« Züchtigung im familialen Alltag. Nach den Selbstreports der Jugendlichen haben sogar 43,5 Prozent schon schwerere Formen wie deftige Ohrfeigen und 30,6 Prozent eine Tracht Prügel erfahren.8

Bis zu 30 Prozent der bundesdeutschen Schüler leiden an Beschwerden, über die auch Manager klagen könn­ten: Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Kopf-und Magenschmerzen. Schon bei unter Zehnjährigen treten Essstörungen wie Magersucht und Bulimie auf.9

Etwa 70.000 Kinder und Jugendliche verweigern in Deutschland den Schulbesuch. In Großstädten gibt es Extremfälle, in denen bis zu einem Drittel der Schüler dem Unterricht fernbleibt. Nicht gemeint sind damit spo­radische Abwesenheit oder bloße physische Teilnahme am Unterricht ohne innere Aufmerksamkeit, sondern die strikte Verweigerung über Monate oder Jahre.10

Rund vier Millionen Erwachsene in Deutschland kön­nen nicht oder nicht ausreichend lesen und schreiben.11 Der Verein »Lesen und Schreiben« vermutet, dass die Dunkelziffer noch einmal so hoch liegt.12

In Deutschland werden jährlich über 900 Millionen € für Nachhilfeunterricht ausgegeben.13

»Um ein Viertel der deutschen Schüler muss man sich wirklich Sorgen machen«, sagt Andreas Schleicher, der Pisa-Koordinator der OECD in Paris. Deren Lesetest-Versagen zeige, dass sie den Anschluss ans Leben, an die Herausforderungen in Familie, Beruf und Gesellschaft wahrscheinlich nicht schaffen werden.14

In Berlin beendeten in den zehn Jahren von 1988/89 bis 1997/98 im Durchschnitt 15 Prozent der Schüler ihre Schulzeit ohne Abschluss.15

Erziehung

Wie man es auch dreht und wendet, Kindern in Deutsch­land widerfährt nicht nur Gutes. Kinder sind Objekte staatlichen und elterlichen Handelns – de jure und de facto. Die Zitate und Zahlen machen es unmöglich, die Probleme zu verharmlosen und als Ausnahmen abzutun.

Dazu kommt, dass bei der Bewertung von Gewalt in der Familie alltägliche Strafen wie Fernsehverbot, Ins-Bett­gehen-müssen, Taschengeldkürzung, Strafarbeiten, An­brüllen, Erpressen und Stubenarrest ebenso wenig ernst genommen werden wie Einmischung in die kindliche Ordnung, Kleidung und Frisur, das Verbot bestimmter Freunde, das Öffnen von Briefen oder der Zwang aufzu­essen.

Gegen einen Teil dieser Tatbestände, auch gegen die Ohrfeige und den Klaps, werden Kinder gesetzlich seit jüngster Zeit geschützt. Die rot-grüne Regierung änderte den entsprechenden Paragrafen (§1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches), in dem es nun heißt: »Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafun­gen, seelische Verletzungen und andere entwürdigen­de Maßnahmen sind unzulässig.« Diese Formulierung greift die zahllosen Demütigungen auf, denen Kinder ausgesetzt sind; sie stellt fraglos einen Fortschritt in der rechtlichen Situation von Kindern dar, bleibt aber den­noch halbherzig.

Erziehen heißt, Kinder zu einem von den Eltern ge­wünschten Verhalten und möglichst zu entsprechenden Überzeugungen zu bringen. »Schlecht erzogene« Kinder machen Sachen, die sie nicht tun sollen. Was aber tun, wenn das Kind nicht tut, was es soll? Dann müssen »Maßnahmen« ergriffen werden. Erwachsene, die ihre Übermacht ausnutzen und Gewalt androhen oder ein­setzen, setzen »entwürdigende Maßnahmen« ein.16

Folglich ist die Neufassung des §1631 BGB immer noch widersprüchlich: Gewaltfrei ist Erziehung nämlich nicht zu haben. Folgende Formulierung könnte dieses Problem lösen: »Kinder haben das Recht, gewaltfrei aufzuwach­sen. Eltern und Kinder sind gleichberechtigt.«

Vorläufig fehlt den Politikern der notwendige Mut zu diesem Vorschlag. Die eigene Erfahrung verstellt den Menschen, auch den verantwortlichen Politikern, den Blick auf diese Problematik. »Bislang hat man angenom­men, dass das Schlagen etwas Selbstverständliches ist, weil man selbst geschlagen wurde. Andere Gründe gibt es dafür nicht.«17 Das gilt sinngemäß auch für andere Erziehungsmethoden. Solange diese Behauptung nicht widerlegt ist, kann man nur wünschen, dass endlich die Kinder gefragt werden, wie sie behandelt werden wollen. Verfügten Kinder über das Wahlrecht, müssten die übli­chen Erziehungs-»Maßnahmen« ernsthaft diskutiert werden, denn kein aufgeklärtes Kind will mit den ge­nannten Methoden behandelt werden.18

Schule

Schauen wir auf das Schulwesen. Auch hier sprechen die genannten Zahlen Bände. Kinder und Jugendliche unter­nehmen viel, um sich dem Stress des Schulalltags zu ent­ziehen. Der Grund ist kaum in ihrem »fehlenden Bil­dungswillen« zu suchen, sondern in Mängeln des deut­schen Schulsystems, die durch Stichworte wie Zwangs-lernen, Fremdbestimmung, Lebensfremdheit, Massen­abfertigung, Angst und Langeweile umrissen werden können.

Die Schule ist unendlich weit entfernt von einer Insti­tution, die Kindern und Jugendlichen effektiv hilft, sich Wissen und soziale Kompetenzen anzueignen. Der Kri­tiker der Pädagogik Ekkehard von Braunmühl hat ein­mal bissig formuliert: »Wer die Vergewaltigung der Kör­per und Seelen junger Menschen, die das bestehende Zwangsschulsystem darstellt, in Zukunft noch vertei­digt, ist selbst der Beweis dafür, was es anrichtet.«19

Hat man jemals die Schüler gefragt? In der Schule gibt es Mitbestimmung nur als Alibi unter undemokrati­schen Bedingungen: Das wichtigste Schulgremium, die Schulkonferenz, wird laut Gesetz nur zu einem Drittel von Schülern besetzt, obwohl Schüler die übergroße Mehrheit in der Schule bilden. In den Berliner Grund­schulen haben sie nicht einmal ein Stimmrecht. Die Kom­petenz der Schulkonferenz ist im Übrigen ziemlich ge­ring. Entschieden werden können nur nachrangige De­tails, Grundsätze stehen nicht zur Debatte. Wegen des Risikos, das immer mit wesentlichen Veränderungen ver­bunden ist, ließe sich die Starrheit des deutschen Staats­schulwesens vielleicht verstehen. Angesichts der Erfah­rungen in anderen Ländern ist das aber verfehlt, denn längst gibt es weltweit zahlreiche demokratische Schu­len, in denen mit Erfolg nahezu alle schulischen Abläufe anders organisiert sind als hier zu Lande.20 Wer will be­streiten, dass das Kinderwahlrecht die Politik nötigen würde, das Bildungswesen durch die Brille der Kinder zu betrachten und endlich flexibler zu gestalten?

Doch die Lage der Kinder lässt sich nicht nur im Erzie­hungsalltag und in der Schule verbessern. Das Recht auf Eigentum, das Recht auf freie Wahl seiner Umgebung, das Recht auf ein garantiertes Einkommen, das Recht zu arbeiten sind Bürgerrechte, die Kindern hier zu Lande weitgehend vorenthalten werden. Die Gegenwart der Kinder und ihre jeweils aktuellen Probleme, um die es hier geht, sind in der Vergangenheit vernachlässigt wor­den. Dem tragen auch Äußerungen in der heutigen Kind­heitsforschung Rechnung. In dem so genannten Ent­wicklungsparadigma der bisherigen Kindheitssoziologie erkennen dessen Kritiker eine Verengung der Perspekti­ve auf Kindheit, da Kinder darin nur als etwas Unfertiges betrachtet werden: »Nicht die aktuellen Lebenschancen des Kindes bestimmen die Problemsicht, sondern die Le­benschancen, die es als Erwachsener haben wird. [...] Hierdurch wird Kindheit nur als Übergangsstadium be­trachtet.« Es werde übersehen, dass kindliche Bedürfnis­se bereits aktuell beeinträchtigt seien und auch Probleme des Jetztseins thematisiert werden müssten. Notwendig sei, die Perspektive der Kinder selbst zu stärken bzw. aus­schließlich zu berücksichtigen.21

Für die Zukunft

Das Kinderwahlrecht zielt jedoch nicht nur auf die un­mittelbaren Lebensumstände von Kindern, sondern auch auf das Verhältnis der Generationen ab. Kinder sind un­sere Zukunft, lautet eine Formel; sie haben ein Recht auf Zukunft, so formuliert eine andere. Was kann man von diesen Floskeln halten?

»Unsere Gesellschaft lebt in vielen Bereichen auf Kos­ten ihrer Kinder. Beispiele dafür sind die fortschreitende Umweltzerstörung, die sich durch Probleme zeigt wie Ozonloch, Treibhauseffekt, Atommüll, Artensterben, Verödung der Böden, Überfischung der Meere, Abhol­zung der Urwälder. Aber auch die ausufernde Staatsver­schuldung ist ein Phänomen, das den Lebenshorizont zukünftiger Generationen negativ beeinflusst«, schreibt die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, die in Deutschland 1997 gegründet wurde und sich für Gene­rationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit einsetzt. Ein solches »Leben auf Kosten der Zukunft« findet heute massiv statt, wofür als Beispiele auch die Jugendarbeits­losigkeit und die Benachteiligung der jungen Generation in der Rentenversicherung genannt werden.22

Auch andere Autoren23 beklagen die Externalisierung der Kosten und sonstiger Folgen des gegenwärtigen Han­delns in die Zukunft. Diese »Futurisierung« geschieht so­wohl bei den Staatsfinanzen als auch im Umweltschutz. Es ist eine unleugbare Tatsache, dass das hohe Niveau heutiger Lebensverhältnisse den nachfolgenden Genera­tionen Aufgaben und Schulden aufbürdet. Ob anthropo­gene Klimaveränderungen, Atommüll, ein nicht mehr funktionierendes Altersversorgungssystem oder die Ver­schuldung des Staates – die Ungeborenen und die Kinder können sich nicht gegen die Verursachung dieser künftig von ihnen zu bewältigenden Probleme wehren. Die Ver­antwortlichen sind durch Tod oder Verjährung später nicht mehr zur Verantwortung zu ziehen. Demografische Entwicklungen verschärfen die Lage. Das Verhältnis von Alten (über 65 Jahren) zur Erwerbsbevölkerung (zwi­schen 15 und 65 Jahren) wird sich von heute 1:4 auf 1:2 im Jahr 2040 verdoppeln.24

Diese Situation nimmt die prominente Juristin Lore Maria Peschel-Gutzeit zum Anlass für ihren Vorstoß in Sachen »Wahlrecht von Geburt an«, den sie unter ande­rem folgendermaßen begründet: »Familien werden be­nachteiligt, obwohl es gerade die Familien sind, die unse­re Versorgungssysteme tragen. Wir leben rücksichtslos auf Kosten der nachfolgenden Generationen und provo­zieren damit den Zerfall der Solidargemeinschaft. [...] Ohne familiäre Verpflichtungen erzielen Kinderlose im Laufe ihres Lebens höhere Einkommen und damit höhere Rentenansprüche als Eltern, obwohl sie im Gegensatz zu Eltern nichts in die Zukunft des Systems investiert ha­ben.«25 Mit ähnlichen Überlegungen begründen mehrere Autoren ihre Forderung zur Änderung des Wahlrechts.26

Die neuen Wählerstimmen sollen den Druck auf die Poli­tik verstärken, für Generationengerechtigkeit zu sorgen. Die meisten der hier zitierten Autoren favorisieren in die­sem Zusammenhang das so genannte Stellvertreterwahl­recht, also die treuhänderische Abgabe der Kinderstim­men durch die Eltern.


Sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft gilt, was die Jugendforscher Klaus Hurrelmann und Christian Palentien im Vorwort zu ihrem Handbuch für Forschung, Lehre und Praxis »Jugend und Politik« schreiben: »Fak­tisch ist die junge Generation von den sie betreffenden politischen Entscheidungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen ausgegrenzt. Erst in Ansätzen zeigen sich Gegen­bewegungen.«27

Zu den angesprochenen Gegenbewegungen zählen die Initiativen für das Kinderwahlrecht, von dem positive Wirkungen in zwei Bereichen erwartet werden. Einerseits sollen die Kinderlosen und Alten in unserer Gesellschaft nicht weiter bevorzugt und die finanziellen und ökologi­schen Belastungen nicht mehr auf die nachkommenden Generationen abgewälzt werden. Andererseits sollen Kinder nicht nur wegen ihrer Zukunft, sondern bereits in ihrer Gegenwart ernst genommen werden. Heute gel­ten Grund- und Menschenrechte für Kinder nur einge­schränkt, in der alltäglichen Erziehung und in der Schule erfahren Kinder Ohnmacht und Abhängigkeit. Die Fol­gen wirken weit in die Zukunft. Das Kinderwahlrecht kann beitragen, den Objektstatus der Kinder zu ändern.

4. Steht das Kinderwahlrecht im Einklang mit dem Grundgesetz?

Auch die besten politischen Argumente und humanisti­schen Ideen nützen wenig, wenn die daraus abgeleiteten Forderungen nicht in Übereinstimmung mit den Geset­zen gebracht werden können. Deshalb muss untersucht werden, welche juristischen Hindernisse dem Wahlrecht ohne Altersgrenze im Weg stehen. Die wichtigste Frage lautet dabei: Ist die Forderung nach dem Wahlrecht für Kinder verfassungskonform?

Die Beantwortung dieser grundsätzlichen Frage macht einen kurzen Exkurs in das Verfassungsrecht notwendig. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist der Charakter unseres Staates geregelt, so enthält beispiels­weise der Artikel 20 folgende Bestimmungen:

Artikel 20

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Der erste Satz von Absatz (2) legt das Prinzip der Volks­souveränität fest, der erste Halbsatz des zweiten Satzes das Prinzip der repräsentativen Demokratie. Letztend­lich übt das Volk die »Gewalt im Staate« aus. Hierzu be­dient sich das Volk der Wahlen. Daraus folgt, wie der Wahlrechtsexperte Wolfgang Schreiber betont, dass »je­des Organ staatlicher Gewalt und jede Ausübung der Staatsgewalt [...] danach ihre Grundlage in einer Ent­scheidung des Volkes finden [muss], das heißt in Wahlen, die damit der für die Willensbildung im demokratischen Staat und für das Funktionieren des demokratischen Sys­tems schlechthin zentrale und entscheidende Vorgang sind. Als wichtigste Form der aktiven Teilnahme des Volkes am politischen Leben sind Wahlen der Grundvor­gang jedes demokratischen Verfassungslebens und Fun­damentalausdruck der Volkssouveränität im Sinne des Artikel 20 Abs. 2 Satz 1 GG.«28

Das Volk setzt sich dabei aus niemand anderem als den lebenden Staatsangehörigen zusammen. Die Staatsan­gehörigkeit erwirbt man in der Regel29 mit der Geburt, das ist juristisch unumstritten. Folglich gehören Kinder ebenfalls zum Volk. Aus diesem Grund müsste Kindern das Wahlrecht zustehen.

Das ist aber nicht der Fall, denn durch Artikel 38 des Grundgesetzes, der das hier interessierende aktive und ebenso das passive Wahlalter regelt, werden Menschen unter 18 Jahren ausgeschlossen:

Artikel 38

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

Die Staatsfundamentalnorm in Artikel 20 des Grundgesetzes

Man hat es offensichtlich mit einem Widerspruch inner­halb des Grundgesetzes, nämlich zwischen Artikel 20 (2) und Artikel 38 (2), 1. Halbsatz, zu tun. Er ist jedoch nicht unlösbar. Einerseits sind alle Artikel im Grundgesetz for­mal von gleicher Wertigkeit, gleichem Rang. Anderer­seits sind bestimmte Unterschiede zwischen den Artikeln zu erkennen. Im Artikel 20 des Grundgesetzes ist das de­mokratische Wesen unseres Staates festgeschrieben, das für immer unantastbar bleibt. Keine Mehrheit von Bun­destag und Bundesrat kann, solange das Grundgesetz gilt, an diesem demokratischen Prinzip etwas ändern. Dies ist im Artikel 79 (3) des Grundgesetzes geregelt.

Artikel 79

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätz­liche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Aus diesem Grund werden die Artikel 1 (Würde des Menschen) und 20 auch Staatsfundamentalnormen ge­nannt.30 Artikel 38, insbesondere Absatz (2), 1.Halb­satz, kann hingegen vom Bundestag geändert werden. Er konkretisiert lediglich die in Artikel 20 festgeschrie­benen Grundsätze. Im Einzelnen zählen hierzu neben der oben zitierten Altersgrenze auch die in Artikel 38 (1) ge­regelten und nicht zu beanstandenden Bestimmungen des Charakters der Wahlen:

Artikel 38

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet.

Der Allgemeinheitsgrundsatz in Artikel 38 des Grundgesetzes

Der in Artikel 38 formulierte Allgemeinheitsgrundsatz nimmt in der Diskussion um das Kinderwahlrecht eine zentrale Position ein. Er besagt, dass das Stimmrecht grundsätzlich allen Bürgern zustehen muss. Dieser Grundsatz untersagt, wie es im Kommentar zum Grund­gesetz heißt, »den unberechtigten Ausschluss von Staats­bürgern von der Wahl. Er verbietet dem Gesetzgeber, be­stimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirt­schaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen und fordert, dass grund­sätzlich jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise soll ausüben können«.31

Verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungs­gerichts machen deutlich, dass dem Gesetzgeber nur ein eng bemessener Spielraum bleibt. »Differenzierungen in diesem Bereich bedürfen stets eines besonderen rechtfer­tigenden Grundes.« Das bedeutet: »Das Wahlrecht darf auch nicht von besonderen, nicht von jedermann erfüll­baren Voraussetzungen (des Vermögens, des Einkom­mens, der Steuerentrichtung, der Bildung, der Lebens­stellung) abhängig gemacht werden. [...] Das allgemei­ne Wahlrecht kann nur aus zwingenden Gründen einge­schränkt werden.«32

Folgt man diesen Grundsätzen, stellt sich die Frage, wel­che Gründe ausreichend zwingend sein können, um alle Unter-18-jährigen vom Wahlrecht auszuschließen.

Die Einzelheiten des im Grundgesetz nur grob umris­senen Wahlrechts regelt das Bundeswahlgesetz. Dem wichtigsten Kommentar zu diesem Gesetz entnimmt man zum Thema Mindestalter: »Für die Festsetzung des Wahlalters ist die allgemeine politische Urteilsfähigkeit ausschlaggebend.«33 Und an anderer Stelle heißt es: »Aus dem Wesen des aktiven Wahlrechts als einem höchstpersönlichen Recht folgt, dass gewisse persönli­che Mindesterfordernisse für eine vernunft- und gemein­schaftsgemäße Entscheidung gegeben sein müssen. Dazu gehört ein bestimmtes Lebensalter.«34 Es werden also zwei unabhängige Aspekte des Problems deutlich:

a) Wie ist die allgemeine politische Urteilsfähigkeit des Wählers definiert, die für »vernunfts- und gemeinschaftsgemäße Entscheidungen« mindestens erforderlich ist?

b) Ist »ein bestimmtes Lebensalter« ein »zwingender Grund« zum Ausschluss vom Wahlrecht?

Das schwierige Problem der Urteilsfähigkeit soll zu­nächst einmal nicht interessieren, ich werde später in ei­nem eigenen Kapitel darauf zurückkommen. Es entzieht sich der juristischen Handhabung, die sich deshalb des praktikableren Kriteriums, nämlich des Lebensalters, bedient. Die zweite Frage dagegen formuliert das eigent­liche juristische Problem, das jetzt erörtert werden soll.

Die Frage ist von mehreren Autoren behandelt wor­den. So kommt der Münchner Rechtsanwalt und Polito­loge Peter Merk zu dem Schluss, »dass alle gegen das Wahlrecht ohne Altersgrenzen vorgebrachten juristi­schen Gründe nicht tragfähig sind. Auch die juristische Literatur ist nicht im Stande, entsprechende Argumente vorzubringen. Nur Theodor Maunz35 nennt (wohl un­freiwillig) das einzige ›Argument‹, wenn er schreibt, dass sich diese Einschränkung ›aus dem Wesen des aktiven Wahlrechts‹ ergebe und ›historisch erhärtet‹ sei. Faktisch wird somit dieser Ausschluss vom Wahlrecht mit dem unsäglichen Argument des ›es war schon immer so‹ be­gründet. Dieses ›historisch erhärtet‹ bedeutet in der Sub­stanz nichts anderes als ein versteinertes Vorurteil. Es dürfte evident sein, dass eine ›historische Erhärtung‹ nicht geeignet ist, als ›zwingender Grund‹ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur All­gemeinheit der Wahl zu dienen.«36 Wenn »historische Erhärtung« ein ernsthaftes Argument wäre, dürften ja auch Frauen bis heute kein Wahlrecht haben.

Auch der Kieler Rechtsprofessor Hans Hattenhauer37 und die ehemalige Justizsenatorin Lore Maria Peschel­Gutzeit38 kommen in ihren Überlegungen zum gleichen Ergebnis. Bereits 1974 war der Jurist Konrad Löw mit derselben Ansicht als einer der Ersten an die Öffentlich­keit getreten: »Gerade die Geschichte des (...) Wahl­rechtskampfes erscheint denkbar ungeeignet zum Nach­weis, dass es ein Wahlrecht für Kinder nicht geben dürfe, weil es ein solches bisher nicht gegeben hat.«39

Wenn sich auf diese Weise die Auffassung durchsetzt, dass das Alter kein »zwingender Grund« dafür ist, das Grundrecht der Wahl pauschal und legal einzuschrän­ken, bleibt nur die Möglichkeit, den widersprüchlichen Artikel 38 (2) zu ändern. Welche Konsequenzen damit verbunden sein werden, werden die Erörterungen im Ka­pitel »Wie soll das Kinderwahlrecht praktisch funktio­nieren?« ergeben. Damit ist das Wahlrecht ohne Alters­grenze zunächst einmal mit Hilfe formal juristischer Konstruktionen begründet und durchsetzbar.

Doch wird den Kindern damit auch wirklich der Zu­gang zu den Wahlurnen gewährt? Die zitierten Autoren sind Juristen. Sie favorisieren überwiegend das Stellver­treterwahlrecht. In diesem Modell unterscheiden sie zwi­schen den Inhabern des Wahlrechts (zu denen die Kinder zählen sollen) und den Stellvertretern, die dann tatsäch­lich wählen gehen (den Eltern). Das heißt, die genannten Autoren brauchen bei ihrer Argumentation für ein Kin­derwahlrecht lediglich den oben angeführten Nachweis anzutreten, dass der Allgemeinheitsgrundsatz im Wahl­recht Kinder einschließt. Mit der Urteilsfähigkeit als an­geblicher Zugangsvoraussetzung zur Wahl müssen sie sich nicht auseinander setzen, da die Wähler dieselben sind wie bisher.

Eine Konsequenz ergibt sich aus der Kommentierung der Staatsfundamentalnorm in Artikel 20 des Grundgeset­zes. »Wenn es auch nicht im Grundrechtskatalog der Ar­tikel 1 bis 17 GG steht, so ist das Wahlrecht doch verfas­sungsrechtlich ein–traditionell und historisch aus der Staatsbürgerschaft resultierendes – ›politisches‹ Grund­recht, nach anderen Angaben ein grundrechtsgleiches Recht.«40 In der Praxis wird das Wahlrecht aber nicht als Grundrecht behandelt. Mit der Feststellung des Grund­rechtscharakters wird »verfassungsrechtlich wohl ein ›Prinzip Hoffnung‹, schwerlich jedoch ein empirischer Tatbestand formuliert. [...] Das Wahlrecht des Bürgers der Bundesrepublik Deutschland stellt folglich entspre­chend den bisher immer noch verbindlichen Bestimmun­gen des Artikel 38 Absatz 2 GG kein Grundrecht des Bürgers, sondern ein ihm seitens des Verfassungsgebers eingeräumtes (beziehungsweise vorenthaltenes) politi­sches Privileg dar.«41 Das Wahlrecht darf jedoch kein Privileg bleiben.

5. Das Kinder­wahlrecht – ein Schritt zur echten Demokratie?

Selbst wenn das uneingeschränkte Wahlrecht für alle nicht durch Artikel 20 (2) des Grundgesetzes geschützt wäre, müsste man fragen, warum Kinder bei Wahlen nicht mitbestimmen dürfen.

Die so genannten Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sicherlich nicht daran gedacht, dass auch Kinder das Wahlrecht erhalten sollen. Dafür war 1949, gerade 30 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland, die Zeit noch nicht reif. Jedoch haben sie die Prinzipien einer modernen Demokratie sehr ernst genommen, so dass aus den allgemeinen Formulierun­gen des Grundgesetzes das Kinderwahlrecht abgeleitet werden kann. Damit haben die Befürworter des Kinder­wahlrechts in gewisser Weise Glück. Die Bundestagsab­geordneten können die Altersgrenze aus dem Artikel 38 (2) des Grundgesetzes entfernen. Mit etwas Pech für die nur juristisch argumentierenden Kinderwahlrechtsbe­fürworter hätte es auch anders kommen können, bei­spielsweise wenn die Altersgrenze in Artikel 20 festge­schrieben worden wäre. Denkbar wäre auch, dass das Wahlrecht nicht durch die Unantastbarkeitsklausel des Artikels 79 (3) geschützt wäre. In diesem Fall stünden sich Artikel 20 und Artikel 38 als gleichrangige Normen gegenüber und die formal-juristische Argumentation ohne die Möglichkeit des Bezugs auf die Staatsfunda­mentalnorm des Artikels 20 würde nichts ergeben. Jen­seits aller juristischen Eventualitäten ergibt sich die Not­wendigkeit des Kinderwahlrechts aber vor allem, wenn höhere, vorstaatliche, nicht gesetzlich normierte Prinzi­pien, im Besonderen das Demokratieprinzip, in Anwen­dung gebracht werden.

Was heißt Demokratie?

Der Begriff Demokratie ist unscharf. Im alten Athen be­schrieb er ein Verfahren der staatlichen Lenkung, in dem alle42 Bürger die anstehenden Entscheidungen gemein­sam und direkt trafen. Das erstreckte sich sowohl auf den Erlass von Gesetzen als auch auf die Kontrolle ihrer Einhaltung und die Verurteilung von Gesetzesbrechern. Dies wird auch »direkte Demokratie« genannt, da zwi­schen dem Souverän (dem Volk) und der Macht, Ent­scheidungen zu fällen, keine Zwischeninstanz existierte. Das Volk herrschte unmittelbar. Die verfeinerten heuti­gen Varianten der Volksherrschaft haben daher ihren Namen: Demokratie (von griechisch demos – Volk und kratos – Stärke, Herrschaft).

Nicht nur aus praktischen Gründen kam die direkte Demokratie für größere gesellschaftliche Zusammen­hänge auf die Dauer nicht in Frage. So entwickelte sich eine Variante der Volksherrschaft: die »repräsentative Demokratie«. Auch bei dieser Regierungsform lag die Entscheidungsbefugnis im Grunde beim Volk, es wählte jedoch Vertreter, die Gesetze erließen und die Regie­rungsarbeit kontrollierten. Die Vertreter waren dem Volk zur Rechenschaft verpflichtet.

Nach der Französischen Revolution begann die Idee der unveräußerlichen Menschenrechte in der Erklärung der Menschenrechte43 und in der Unabhängigkeitser­klärung der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 177644 ihren Siegeszug um die Welt. Jeder Einzelne soll­te vor Entscheidungen und Handlungen der Mehrheit, die für ihn nachteilig waren, und vor Stärkeren geschützt werden. Letztlich kann diese gesellschaftspolitische In­novation als Bollwerk gegen das Faustrecht verstanden werden. Die Menschenrechte fanden Eingang in die Ver­fassungen vieler Staaten. Als Bürger- bzw. Grundrechte, als Freiheits- und Gleichheitsrechte standen sie nicht zur Disposition der Regierung. Die Regierungsform blieb zwar eine repräsentative Demokratie, jedoch mit der Be­dingung, die Grundrechte zu respektieren. Bis dahin gal­ten die Regeln der Demokratie immer nur für einen privi­legierten Teil der Bevölkerung. Nun konnten sich bisher benachteiligte Gruppen, zum Beispiel Sklaven und Frau­en, auf ihre Rechte berufen, darunter auf das Wahlrecht. Gegenwärtig gilt die 30 Artikel umfassende »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« der Vereinten Nationen von 1948 als anerkannte Basis für die Grundrechte des Menschen. Die Mitgliedsstaaten der UNO haben sich verpflichtet, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu verwirklichen. In der Präambel heißt es zur Begrün­dung u.a.: »Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte (bildet) die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Frie­dens in der Welt.« In diesem Sinn sind die Menschen­rechte auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Dort heißt es: »Artikel 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. [...] (2) Das Deut­sche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Ge­rechtigkeit in der Welt.« Diese weiterentwickelte Form der repräsentativen Demokratie heißt, weil es eine Ver­fassung gibt, auch »konstitutionelle Demokratie«.

Aus der menschenrechtlichen Idee, dass jeder Mensch sich auf die gleichen Grundrechte berufen darf, ergibt sich der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz oder – mit anderen Worten – das Prinzip der Gleichberechti­gung. Artikel 2 der »Allgemeinen Erklärung der Men­schenrechte« bestimmt: »Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Frei­heiten ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Um­ständen.« Gleichberechtigung im Sinne der Menschen­rechte wurde im Laufe der historischen Entwicklung ge­sellschaftlicher Regeln eingeführt, weil die Menschen verschieden sind. Alle Menschen haben die gleiche Men­schenwürde. »Eine Unterschiedlichkeit ihrer Menschen­würde wäre schlicht unbegründbar. Sonst müssten wahr­scheinlich auch Frauen und Männer eine unterschied­liche Menschenwürde haben, kluge und weniger kluge, behinderte und nicht behinderte, arme und reiche, und überhaupt alle Menschen müssten unterschiedliche Menschenwürden haben. Das wäre natürlich Unsinn.«45

Altersgrenzen bei Menschenrechten

Da Kinder unbezweifelbar Menschen sind, müssen sie die gleiche unantastbare Menschenwürde wie Erwachse­ne haben. Deshalb müssen sie auch die aus der Men­schenwürde abgeleiteten gleichen Menschenrechte ha­ben wie die Erwachsenen. Da Kinder unbestritten zu den Schwachen in der Gesellschaft zählen, müssen ihre Rech­te ganz besonders geschützt werden. Der friedenstiftende Sinn der Menschenrechte ergibt sich gerade aus dem Schutz der schwächeren Mitglieder der Gesellschaft vor der Macht der Stärkeren. Jeder noch so Schwache soll ohne Angst, bedroht zu werden, leben können. Die Star­ken dürfen sich nicht rücksichtslos, womöglich mit Ge­walt, gegen Schwächere durchsetzen. Sie müssen in einer Gesellschaft, in der die Menschenrechte geachtet und ge­schützt werden, mit Bestrafung rechnen, wenn sie die Menschenrechte Anderer missachten. Da die Menschen­rechte allen in gleicher Weise zustehen, braucht der »Starke« seinerseits keine Angst zu haben, dass ihm sei­ne Freiheit und sein Recht beschränkt werden. Da alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten gebo­ren sind,46 besteht keine Gefahr, dass sich die Gesell­schaft in beliebiger, grenzenloser Freiheit, in einem unge­bändigten Chaos verliert. Vielmehr geht es darum, ständig das Gleichgewicht von Freiheit und Gleichheit auszubalancieren.

Dieses Konzept der Gleichberechtigung unter Beach­tung der Grundrechte sollte endlich auch zwischen Kin­dern und Erwachsenen verwirklicht werden. Hierzu zählt auch das im Artikel 21 (1) und (3) der Menschen­rechtserklärung bestimmte Wahlrecht: »Artikel 21 (1) Jeder Mensch hat das Recht, an der Leitung der öffentli­chen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen. [...] (3) Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muss durch peri­odische und unverfälschte Wahlen mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht bei geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Aus­druck kommen.« Diese Formulierung enthält keinen In­terpretationsspielraum, um Kinder vom Wahlrecht aus­zuschließen.

Die Rechte und die Pflichten

Nicht nur, wenn es um die Rechte von Kindern geht, wird häufig eingewendet, wer Rechte habe, müsse auch Pflichten erfüllen. Und da Kinder bestimmte Pflichten nicht erfüllen könnten, stünden ihnen bestimmte Rechte auch nicht zu. Wenn man von den Grundrechten spricht, gilt es hier, eine Denkgewohnheit zu durchbrechen: Grundrechte stehen jedem ohne Gegenleistungen und unabhängig von seinen Fähigkeiten zu.

Bei der Frage, wer über welche Rechte verfügen darf, ist darüber hinaus eine weit verbreitete und irreführende Formulierung von zentraler Bedeutung.47

Es wird immer wieder behauptet, dass Rechte »aus­geübt« werden. Diese Vorstellung hat sogar in das Bun­deswahlgesetz Eingang gefunden: Paragraf 14 heißt »Ausübung des Wahlrechts«. Man spricht auch davon, dass man von seinen Grundrechten »Gebrauch mache«. Dieser Sprachgebrauch erzeugt den Eindruck, dass der Inhaber des Rechts eine Handlung vollbringen muss, bei ihm also die dazu notwendigen Fähigkeiten vorausge­setzt werden müssen. Ausgedrückt wird dieser Gedanke durch den verbreiteten Begriff »Grundrechtsfähigkeit«. Wendet man vor diesem Hintergrund die Idee der Grund­rechte auf Kinder an, gerät man in Argumentations­schwierigkeiten. Wenn Rechte »ausgeübt« werden müs­sen, bedarf es – so wird geschlussfolgert – eines Stellver­treters, da Kinder zum »Ausüben« ihrer Rechte (noch) nicht fähig sind. Bei diesem Schluss handelt es sich jedoch um eine gedankliche Täuschung. Um sie zu erläutern, zie­he ich eine Definition Ekkehard von Braunmühls zu Rechten und Pflichten heran, die vor allem die traditio­nelle Denkgewohnheit von den »auszuübenden«, also von Fähigkeiten (genau genommen von Macht) abhän­gigen Rechten angreift. Sie macht aber auch die übliche Vermischung von Grundrechten und Pflichten durch­schaubar. »Zur Begründung dieser Definition sind drei Unterscheidungen bedeutsam: zum Ersten die Unter­scheidung zwischen dem Ich und allen anderen Men­schen, zum Zweiten die Unterscheidung zwischen Tun und Nicht-Tun, also zwischen Handlungen und Unter­lassungen, zum Dritten die Unterscheidung zwischen Ge­bot und Verbot.«

In einer Tabelle lassen sich die Kategorien der Rechte und Pflichten nach Ekkehard von Braunmühl gegen­überstellen:

Rechte Pflichten
  • Wenn ich ein Recht habe, muss nicht ich etwas tun, sondern müs­sen alle anderen etwas unterlassen. Mein Recht gebietet mir nichts, sondern verbietet allen anderen etwas.
  • Wenn ich eine Pflicht habe, muss ich etwas tun, mir ist eine Handlung geboten.
  • Mein Recht verpflichtet mich zu nichts, stellt alle anderen Menschen passiv. Mein Recht verpflichtet alle anderen, meine unter diesem Recht stehende Aktivität oder Passivität zu ertragen.
  • Meine Pflicht stellt mich aktiv – und dafür benötige ich die erforder­lichen Fähigkeiten.
  • Mein Freiheitsrecht stellt mich/mir frei, zu tun und zu lassen, was ich will, und verbietet es allen anderen, mich daran zu hindern/dafür zu bestra­fen, obwohl sie die Macht dazu hätten.
  • Umgekehrt verbieten mir die Freiheitsrechte der anderen, sie an ihren von diesen Rechten gedeckten Handlungen oder Unter­lassungen zu hindern bzw. sie dafür zu bestrafen, auch wenn ich die Macht dazu hätte.
  • Mein Recht ist ein Gebot für alle anderen.
  • Meine Pflicht ist ein Gebot für mich.

Bezogen auf den Begriff der Menschenwürde führt Ekke­hard von Braunmühl weiter aus: »Dieses Recht aller Menschen verpflichtet mich bzw. staatliche Organe kei­neswegs, alle Menschen dauernd zu würdigen, es verbie­tet mir bzw. dem Staat aber, sie jemals zu entwürdigen, also ihre Menschenwürde anzutasten.«48

Für das Wahlrecht folgt daraus, dass kein Mensch, also auch kein Kind, als Voraussetzung dafür irgendwelche Pflichten erfüllen oder über irgendwelche Fähigkeiten verfügen muss, denn das Wahlrecht gilt sowohl im Rah­men des Grundgesetzes als auch im Rahmen der Men­schenrechtserklärung als Grundrecht. Aus der Definition folgt, dass »alle anderen« sogar die Pflicht haben, kein Kind an der Handlung zu hindern, die durch das Wahl­recht gedeckt ist: am Wählen. Auf diese Weise dürfte die Unterscheidung zwischen dem Recht einerseits und der vom Recht gedeckten Handlung bzw. Unterlassung ande­rerseits die Debatte um das Kinderwahlrecht revolutio­nieren. »Wählen ist eine Tätigkeit, das Wahlrecht nicht«, heißt es bei Ekkehard von Braunmühl lapidar.

Beispiel: Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention

Besonders deutlich zeigen sich die Auswirkungen des Denkfehlers, der in dem Begriff »Grundrechtsfähigkeit« steckt, in der UN-Kinderrechtskonvention. Der Artikel 12 (Berücksichtigung des Kindeswillens) lautet: »Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.«

Kinder, die unfähig sind, sich eine Meinung zu bilden, können diese auch nicht äußern. Weshalb muss ihnen dann das Recht, eine Meinung zu äußern, noch extra ab­gesprochen werden? Wollten die Väter und Mütter der Kinderrechtskonvention mit dieser Formulierung aus­drücken, dass Kinder keine eigene, sondern eine fremde Meinung haben? Warum dürfen sich Kinder nur in »al­len das Kind berührenden Angelegenheiten« frei äußern? Wer sich in einer Sache äußern will, hat offen­sichtlich allein dadurch etwas mit dieser Angelegenheit zu tun. Wie soll eine mich nicht berührende Angelegen­heit aussehen, zu der ich etwas sage? Niemand kommt auf die Idee, dergleichen bei einem Erwachsenen in Arti­keln und Paragrafen regeln zu wollen.

Dieser Artikel hat es wirklich in sich: Was ist der Un­terschied zwischen »berücksichtigen« und »angemessen berücksichtigen«? In der Erwachsenenwelt geht keiner davon aus, dass das Berücksichtigen einer Meinung au­tomatisch dazu führt, dass die darin enthaltene Forde­rung erfüllt wird. Eine Meinung zu berücksichtigen heißt aber nicht, auch zusichern, dass sie sich erfüllt. Es heißt, auf sie Rücksicht zu nehmen, sofern das im Span­nungsverhältnis mit anderen Rücksichtnahmen möglich ist. Die Angemessenheit, die das Berücksichtigen der kindlichen Meinung um eine gegebenenfalls erhebliche Größe verkleinert, ist eine Anmaßung, vielleicht sollte es besser »anmaßende Berücksichtigung« heißen. Wem das vermessen erscheint, der stelle sich den Artikel auf Er­wachsene angewendet vor: »Die Vertragsstaaten sichern dem Rentner, der fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen den Rentner berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und be­rücksichtigen die Meinung des Rentners angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Gebrechlichkeit.«

Was aus dem Glauben folgt, dass ein Recht nur aus­geübt werden kann, wenn entsprechende Fähigkeiten vorhanden sind, lässt sich nicht nur im Artikel 12 der Kinderrechtskonvention nachweisen. Aber gerade hier wird der Bezug zum Wahlrecht deutlich, denn auch das Wählen ist eine Meinungsäußerung. Hierzu passend kommt ein Gutachten des Bundesjugendministeriums zu dem Ergebnis, »dass Rechte für die Kinder in den Mit­gliedsstaaten der UNO unmittelbar durch die Konventi­on gar nicht begründet werden«. Sie »gewährleistet Schutz und Fürsorge der Kinder durch die Erwachsenen (Art. 2 und 5), so dass die Konvention systematisch eher eine Ausprägung des Kindeswohlgrundsatzes ist«.49

Fassen wir nach diesem Exkurs das Kapitel zusammen: Zu den Prinzipien einer modernen Demokratie gehört, dass Grund- und Menschenrechte allen Menschen zuste­hen, auch Kindern. Das Wahlrecht macht da keine Aus­nahme. Eine Gesellschaft wie die unsere, in der es noch kein Kinderwahlrecht gibt, ist folglich undemokratisch – so hart das auch klingt.

6. Ist fehlende Urteilsfähigkeit ein Gegenargument?

Nun könnte man einwenden, die konstitutionelle Demo­kratie mit ihrem Grundrechtekatalog habe zwar die for­male Konsequenz, Kinder wie ganze Menschen zu be­handeln, so sei das aber nie beabsichtigt gewesen. Ur­sprünglich sollten nur Menschen über die Geschicke des Staates bestimmen, die politische Reife und Urteilsfähig­keit besitzen. Und die so genannte Entwicklungstatsa­che – der Umstand, dass Kinder über viele Dinge keinen Überblick haben – könne nicht geleugnet werden. Wer möchte schon von Kindern regiert werden?

Historische Betrachtung

In der Tat ergibt ein Blick in die Geschichte des Wahl­rechts, dass der Verstand des Wählers darin eine Rolle ge­spielt hat. Schon 1687 hieß es in einem Aufsatz: »Es gelte die Regel, dass alles, was kraft Entscheidung geschehe, nur bei vollkommener und bewusster Kenntnis der Sache verrichtet werden könne.«50 Bis vor 150 Jahren war außerdem die Bindung des Wahlrechts an Vermögen und wirtschaftliche Freiheit unbestritten. »Man kann diesem Grundsatz nicht jegliche Berechtigung absprechen und [...] die Frage hinzufügen, ob nicht in der Tat derjenige in politischen Entscheidungen verantwortlicher und vor­sichtiger vorgeht, der die Kosten der Politik zu tragen hat. Schließlich war es auch mehr als eine Gedankenspie­lerei, zu behaupten, dass der Grundbesitzer sich in der Not nicht leicht von seinem Haus verabschieden und es nach Kräften verteidigen werde, während der Habe­nichts sich mangels Risikos aus dem Staube mache, um sein Leben zu retten, wenn der Feind naht. Es galt der Grundsatz: Wer die Musik bestellt, muss sie bezahlen, wer sie aber bezahlt, darf auch allein bestimmen, was ge­spielt werden soll«,51 schreibt der Jurist und Wahlalter-Experte Hans Hattenhauer in einer Abhandlung zum Kinderwahlrecht und zitiert einen Abgeordneten aus der Verfassungsdiskussion von 1848/49: »Die Launen der Unterschichten habe den Staaten der Antike den Unter­gang eingetragen.« Dieser Abgeordnete wollte darauf hinwirken, dass nur »selbstständige, unbescholtene Deutsche« das Wahlrecht erhalten dürfen. Das Wahl­recht hätte so die Machtverteilung festgelegt, denn die »Unselbstständigen« ohne Wahlrecht würden mehr oder weniger der Willkür der »Selbstständigen« ausgeliefert bleiben. Diese regieren wohl selten im Interesse des ganzen Volkes, im Zweifelsfall werden sie ihre eigenen Interessen voranstellen. Am Ende der langwierigen De­batten um die Bedingungen, die an das Wahlrecht ge­knüpft werden sollen, stand 1849 schließlich, dass »Wähler jeder unbescholtene Deutsche [ist], welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat«.52

Offensichtlich ist dieses Ergebnis der Revolution von 1848, die Einbeziehung aller – vorerst aller männlichen – Bürger in das Wahlrecht, nicht nach Prüfung der Urteils­fähigkeit der zusätzlichen Wähler zu Stande gekommen. Es ist vielmehr Ausdruck der politischen Machtverhält­nisse der damaligen Zeit. Strategische Überlegungen ga­ben den Ausschlag für die Änderung des Wahlrechts.53

Diese Erkenntnis fasst Hans Hattenhauer so zusam­men: »Neben dem Zweck der Berufung von Volksvertre­tern kam den Wahlen zunehmend eine die politische Ordnung stabilisierende Aufgabe zu. Dieser Integrati­onscharakter des Wahlrechts ließ auch die zwei Fiktio­nen erträglich erscheinen, mit denen das demokratische Wahlrecht belastet ist. Fiktionen sind juristische Notlü­gen, auf die keine Rechtsordnung verzichten kann, die aber sparsam gebraucht werden müssen. Deren eine be­steht in der Unterstellung, dass alle Wähler politisch gleich erfahren sind und gleich besonnen und überlegt handeln; die andere gibt vor, dass die Mehrheit klüger ist als die Minderheit.«54

Mit dem Hinweis auf die erste Fiktion könnte die Frage nach der Qualität, die sich hinter der einzelnen Wahl­stimme verbirgt oder verbergen sollte, als beantwortet gelten. Die Urteilsfähigkeit spielt aber dennoch und an­haltend in der Wahlrechtsdiskussion eine Rolle.

Der »blinde Fleck« der Demokratietheorie

Auch in der Demokratietheorie wird bis heute um die Anforderungen an den Wähler gestritten. Zu den Grund­prinzipien der modernen Demokratien gehört, dass alle Menschen als gleich und frei gelten. Mit der Anerken­nung als Freie und Gleiche ist der Begriff der privaten und öffentlichen Autonomie verbunden.55 Die private Autonomie bezieht sich vor allem auf die Freiheitsrechte, die dem Bürger erlauben, sich so unbehelligt – vom Staat wie von Mitbürgern – wie möglich zu entfalten. In die­sem Bereich gilt das Prinzip, dass individuelles Handeln nicht begründet zu werden braucht. Die öffentliche Au­tonomie hingegen bezieht sich auf die Möglichkeit der Bürger, sich über Wahlen an den kollektiv bindenden Entscheidungen des politischen Systems zu beteiligen und so die eigene Konzeption vom »guten Leben« einzu­bringen. »Daher ist innerhalb der liberalen Tradition von Demokratietheorie das Wahlrecht das Paradigma von Rechten überhaupt, [...] weil es für die politische Selbstbestimmung konstitutiv ist.« (Habermas)56

Die bisherige Demokratietheorie setzt allerdings bei der Zuschreibung von öffentlicher Autonomie (konkret: das Wahlrecht) »unausgesprochen die Fähigkeit vor­aus«57, bestimmte Zusammenhänge zu überblicken.

In ihrer Arbeit »One child, one vote?« untersucht die Politologin Franziska Törring folglich, welche Anforde­rungen ein Bürger erfüllen muss, um wählen zu dürfen. Das Wahlrecht ist hochgradig formalisiert, abstrakte Theorie reicht für eine funktionierende Praxis eben nicht aus. So müssten auch die Bedingungen genau angegeben werden können, die zur Zuerkennung des Wahlrechts er­füllt sein müssen. Dies ist aber, abgesehen von der hier zur Debatte stehenden pauschalen Altersgrenze,58 offen­bar nicht der Fall. Die aktuelle Demokratietheorie kann keine expliziten Anforderungen an die Urteilsfähigkeit des Wahlbürgers benennen, dies nennt Franziska Tör­ring den »blinden Fleck«.

Auch ein wissenschaftliches Gutachten, das zur Frage der Urteilsfähigkeit für den Bundestag angefertigt wur­de, bestätigt den »blinden Fleck«: »Damit fehlt es bis heute an fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen, um den Begriff der politischen Urteilsfähigkeit [...] zu definieren.« Dieser Befund führt die Gutachter zu ihrer Forderung, vor einer Senkung des Wahlalters zu klären, »welche Kriterien erfüllt sein müssen (d.h. welcher Rei­fegrad erlangt sein muss), um Jugendlichen die Fähigkeit zur Teilnahme an der Wahl zu attestieren«.59

Die gegenwärtige Praxis unseres Wahlrechts bestätigt den »blinden Fleck« ebenfalls. Wenn die stillschweigen­de Annahme lautet, Erwachsene seien reif und urteils­fähig, so wird dies durch nichts bestätigt. Es findet keine Kontrolle der Erwachsenenreife statt. Diese Kontrolle findet nicht nur nicht statt, sie ist gar nicht vorgesehen.

Als Ergebnis dieses Abschnitts lässt sich festhalten, dass sowohl in der Demokratietheorie als auch in der Praxis die Altersgrenze nicht anders gerechtfertigt wird als mit »intuitivem Vorverständnis«, demnach Kindern die politische Reife fehlt. Diese Begründung deckt sich mit der in Kapitel 3 beschriebenen Rechtsauffassung, dass der Ausschluss der Kinder »historisch erhärtet« sei.

Die Wahlfähigkeitsprüfung

Die Prüfung der Urteilsfähigkeit mag zwar gegenwärtig kein Thema sein, aber – so wird immer wieder eingewen­det – wenn Kinder wählen dürften, müssten sie zuvor ei­nen Test ihrer Wahlfähigkeit bestehen. Welche Fähigkei­ten in so einem Test überhaupt gefordert werden müss­ten, ist aber völlig unklar.60 Das einzige, was in der Fach­diskussion wie im Volksmund gleichermaßen unterstellt wird, ist der oben erwähnte Glaube, dass Erwachsene über diese nicht näher ausgeführten, speziellen Fähigkei­ten verfügen. Das ist die erste Fiktion, mit der Hans Hat­tenhauer das Wahlrecht belastet sieht. Sie offenbart sich nicht nur darin, dass sich einige Erwachsene weniger gut und andere besser in politischen Dingen auskennen. Eine Fiktion oder Notlüge ist es auch deshalb, weil die Urteils­fähigkeit nicht pünktlich – und schon gar nicht bei allen Menschen gleich – zum 18. Geburtstag einsetzt.

Das schon erwähnte Gutachten für den Bundestag be­stätigt am Beispiel der »reifen« Jahrgänge, dass Testkri­terien fehlen: »Die möglicherweise abnehmenden Fähig­keiten älterer Menschen, aktiv an der Lösung gesell­schaftlicher Probleme gestalterisch teilnehmen zu kön­nen, kann kein Kriterium für den generellen Entzug des Wahlrechts ab einer bestimmten Altersgrenze darstellen, da das Vorhandensein dieser Möglichkeiten umgekehrt auch kein Kriterium für die Gewährung des Wahlrechts ist.«61

Die Forderung nach einem (noch näher zu bestimmen­den) Test für Kinder lässt sich aber mit der Annahme be­gründen, so ein anderer Einwand, dass Erwachsene über mehr Lebenserfahrung verfügen. Diese Erfahrung ließe sich als Nachweis der erforderlichen Reife akzeptieren. Aber auch dieses Kriterium eignet sich wegen seiner Un­schärfe nicht. So gibt das oben genannte Gutachten für den Bundestag zu bedenken, Lebenserfahrung »könnte sich in zwei Richtungen auswirken: In klärenden Ref­lexionen über solche Erfahrungen und Erprobung einer­seits, wie aber auch in Verhärtung von Vorurteilen, in Hörigkeit gegenüber Gruppenmeinungen und Gruppen­interessen, in einem Weiterschleppen veralteter, verein­fachter Vorstellungen von Geschichte und Politik ande­rerseits«.62 Dass die Lebenserfahrung ein schwieriges Kriterium ist, fällt auch im Wahlkampf auf, wenn sich die höchsten und intelligentesten Repräsentanten der Partei­en gegenseitig und öffentlich mit großer Selbstverständ­lichkeit ihr politisches Urteilsvermögen absprechen.

Da die Suche nach einem Reifekriterium ergebnislos bleibt, ist ein Test der Wahlfähigkeit, der politischen Kompetenz, der Reife oder der Urteilsfähigkeit nicht durchführbar. Er ist auch deshalb nicht denkbar, weil er – so steht zu vermuten – zum Entzug des Wahlrechts bei zahlreichen erwachsenen Wählern führen müsste. Das käme einem historischen Rückschritt gleich und wäre politisch nicht durchsetzbar.

Die gegenwärtige Praxis

Man kann die bisherigen Ergebnisse zur Urteilsfähig­keit des Wählers um einige Beobachtungen aus der Pra­xis ergänzen. Die Wahlbefähigung der Wahlbürger wird gemeinhin an ihrem Wissen und ihrer Fähigkeit zum ver­standesmäßigen Handeln festgemacht. Ihr Wissen aber scheint bei weitem nicht so groß wie allgemein angenom­men, oder es kommt nur eingeschränkt zum Tragen. Vie­le erwachsene Wähler machen sich nur wenige Gedan­ken, ihnen fehlt der politische Überblick und sie haben weder von ihrer eigenen Zukunft noch von Anforderun­gen an die zu wählende Partei klare Vorstellungen. Die Strenge, mit der von jungen Menschen Sachverstand ver­langt wird, erscheint unangemessen, wenn man sich an­sieht, auf welche Weise viele Erwachsene ihre Wahlent­scheidung treffen.

Es gibt zahlreiche so genannte Stammwähler. Sie wählen immer dieselbe Partei. Die konkreten Erfolge oder Ziele, mit denen ihre Partei zur Wahl antritt, sind ih­nen nicht so wichtig. Sie entscheiden offenbar nicht auf der Grundlage einer verstandesmäßigen Prüfung der Wahlalternativen, sondern haben schlicht Vertrauen oder folgen einer Gewohnheit.

Umfragen bestätigen immer wieder, dass umgekehrt bei manchen Wahlen beträchtliche Teile des Wahlvolkes selbst unmittelbar vor dem Wahltag noch nicht wissen, was sie wählen sollen. Diese unentschlossenen Wähler entscheiden sich dann in den wenigen verbleibenden Stunden. Auch hier fragt man sich, nach welchen Kriteri­en diese Entscheidung gefällt wird. Die praktische Erfah­rung lehrt, dass diese Menschen – teilweise bis zu 30 Pro­zent der Wähler – kaum Fakten und Sachinformationen auswerten. Das heißt, auch sie entscheiden vorwiegend aus einem Gefühl heraus, da sie keine klaren Kriterien haben.

Nicht zuletzt machen die Wahlkämpfe deutlich, dass es um Stimmungen geht – und weniger um Klugheit, Klar­heit und nachprüfbare Entscheidungen. Die Parteien um­werben die Wähler mit emotional wirkenden Sprüchen und Bildern. Sie verlangen »Treue« und preisen ihre »Glaubwürdigkeit« an. Um nicht die Frage zu vergessen, wieso manche Politiker – selbst bei fast völlig identischen politischen Zielen – bei den Wählern besser ankommen als andere: Es liegt an ihrer persönlichen Ausstrahlung.

Wie man sieht, spielen Vertrauen, Glaube, Hoffnun­gen, Vermutungen, Gefühle, Stimmungen, Treue, Glaub­würdigkeit und Ausstrahlung eine große Rolle, wenn es um die Wahlentscheidung des Einzelnen geht. Insofern fällt es schwer zu behaupten, dass heutige Wähler allein sachliche Gründe haben und ihre Entscheidungen ver­nünftig sind. Die Wirklichkeit steht im Widerspruch zu der stillschweigend getroffenen Annahme, dass Wähler die Konsequenzen ihrer Wahl überblicken und rational und politisch aufgeklärt wählen. Es lässt sich also sagen, dass auch bei politischen Wahlen neben sachlichen vor allem menschliche Dinge eine entscheidende Rolle spie­len: Sympathie, Ängste, Ärger usw. Über die Fähigkeit, auf solche Weise zu entscheiden, verfügen Kinder und Ju­gendliche natürlich auch.

Im Übrigen sind die Fähigkeiten, die man haben muss, um seine Stimme »abzugeben«, nicht sehr zahlreich. Man muss wissen, wo das Wahllokal ist, wann es öffnet und wie man Kreuze auf einem Stimmzettel63 macht.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Urteilsfähig­keit ist kein Kriterium für das Wahlrecht. Es gibt bei poli­tischen Streitfragen keine Instanz, die über die Qualität der Argumente entscheiden könnte, nur den einzelnen Menschen mit seinem persönlichen Gewissen. Deshalb entscheiden in der Demokratie Mehrheiten, Stimmen-zahlen. Jede Stimme hat dabei das gleiche Gewicht, egal welche Argumente hinter der jeweiligen individuellen Wahlentscheidung stehen. Die Qualität von Motiven und Argumenten kann subjektiv sehr unterschiedlich be­wertet werden, aber in der Demokratie zählen nicht die­se qualitativen Bewertungen, sondern die quantitativen Ergebnisse. Deshalb ist es undemokratisch, wenn Kin­dern das Wahlrecht mit Argumenten, die ihre Qualität und Qualifikation betreffen, vorenthalten wird.64

Der »blinde Fleck« der Demokratietheorie »lässt sich einerseits als Schwachstelle begreifen, welche historisch dazu genutzt wurde, den Ausschluss vom Wahlrecht, zum Beispiel von Besitzlosen, Frauen oder anderen Gruppen, zu rechtfertigen. Sie lässt sich jedoch auch als Freiraum interpretieren, der immer wieder neuen Grup­pen die Möglichkeit bietet, politische Rechte für sich ein­zufordern, als das dynamische Element, das historisch gesehen das Aufkommen und die Durchsetzung politi­scher Partizipationsrechte für immer weitere Teile der Bevölkerung begünstigt hat«.65 Dieses Buch versucht, diesen Freiraum auszuloten.

7. Die Wählbarkeit und einige weitere Einwände – eine Nebensächlichkeit?

Neben dem zentralen Streitpunkt der Wahlbefähigung tauchen in Diskussionen um das Kinderwahlrecht im­mer wieder andere kritische Argumente auf. Auch sie sollen diskutiert werden.

Die Wählbarkeit

Müssen Kinder auch wählbar sein? Das passive Wahl­recht ist ebenso wie das aktive Wahlrecht mittels der Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit geregelt. »So muss jeder bei der Wahlbewerbung ohne Rücksicht auf soziale Unterschiede, insbesondere auf seine Ab­stammung, seine Herkunft, seine Ausbildung oder sein Vermögen die gleichen Chancen haben, Mitglied des Parlaments zu werden.«66 Jedoch ist die Wählbarkeit ausdrücklich an einige Bedingungen geknüpft, von de­nen hier nur das Mindestalter interessant ist. Dieses Mindestwahlalter bestimmt das Grundgesetz in Artikel 38 (2) als »das Alter [...], mit dem die Volljährigkeit ein­tritt.«67 Da die Volljährigkeit im Bürgerlichen Gesetz­buch geregelt ist, kann die Altersgrenze – anders als beim aktiven Wahlrecht, bei dem die Grenze mit 18 Jahren zahlenmäßig festliegt – nicht mit derselben juristischen Konstruktion angegriffen werden. So weit die aktuelle Gesetzeslage.

Für das Problem der Altersgrenze beim aktiven Wahl­recht spielt die Frage der Wählbarkeit keine Rolle. Das aktive Wahlrecht kann man ändern und die Wählbarkeit belassen wie sie ist. So könnte das Thema hier völlig aus­gespart bleiben.

Dennoch bleibt die generelle Frage, ob das Alter ein sinnvoller Grund ist, Personen von der Wählbarkeit aus­zuschließen. Der wichtigste Grund für Einschränkungen der Wählbarkeit besteht in der Absicherung vor Volks­vertretern, die nicht im Sinne der Gemeinschaft handeln. So dürfen u.a. keine Verbrecher gewählt werden, weil man ihnen verantwortliches Handeln abspricht.

Deshalb Kinder pauschal auszuschließen macht kei­nen Sinn, wie die folgende Überlegung zeigt. Ein Minder­jähriger müsste gewählt werden wollen (1), er hätte etli­che Hürden zu nehmen, um formell zum Kandidaten er­nannt zu werden (2), nachfolgend müsste er eine Mehr­heit der Stimmen auf sich vereinigen (3). Falls er das schaffen würde, hätte er zwar Einfluss, müsste sich aber im Parlament um Verständigung mit den anderen Man­datsträgern bemühen (4), um seine »unreifen« Ideen umzusetzen. Dass es einem Minderjährigen gelingen könnte, diese vier Stufen zu nehmen, ist unwahrschein­lich. Gelingt es ihm dennoch, kann davon ausgegangen werden, dass er als Volksvertreter geeignet ist. Insofern spricht nichts für die Altersgrenze bei der Wählbarkeit, da auch ohne sie die mit ihr verfolgten Ziele erreicht wer­den.

Wahrscheinlich hätte die Einführung auch der Wähl­barkeit formale Folgen in Gesellschaftsbereichen, in de­nen die Volljährigkeit eine Rolle spielt. Die Problematik abzuschätzen übersteigt aber den Rahmen des vorliegen­den Buches, sie bietet der rechtswissenschaftlichen For­schung ausreichend Stoff.

Sonstige Altersgrenzen

Kritiker weisen unter anderem darauf hin, dass, wer noch nicht einmal Auto fahren darf, schon gar nicht das Wahlrecht haben dürfe.68 Andere lehnen das Kinder­wahlrecht ab, da angeblich damit auch das (Erwach­senen-)Strafrecht für Kinder gelten müsse. Was ist das Element, das diese seltsam anmutenden Argumente ver­bindet?

Altersgrenzen stellen eine statistische Abstraktion dar, die individuelle Unterschiede bei den Fähigkeiten (und Bedürfnissen) von Menschen nicht berücksichtigt. Wie im Abschnitt zur Wählbarkeit vorgeführt, lässt sich die Entscheidung, ob jemand für eine Sache geeignet ist, ohne Festlegung einer Altersgrenze treffen. Es kommt darauf an, ob die konkrete Persönlichkeit für die konkre­te Aufgabe qualifiziert ist. Wie das ermittelt wird, ist beim Gewähltwerden einfach: Der Kandidat muss aus­reichend Stimmen erhalten. Beim Autofahren trifft man auf zwei Bedingungen: eine pauschale Altersgrenze und die Fahrprüfung. Die Altersgrenze ist in diesem Fall ge­nauso überflüssig wie bei der Wählbarkeit. Wenn der Kandidat die Fahrprüfung besteht, verfügt er über die er­forderlichen Kenntnisse und kann getrost am Verkehr teilnehmen. Mehr ist nicht erforderlich. Sollte die Prü­fung die Qualifikation des Fahrschülers nicht sichern, muss die Prüfung verschärft – und nicht die diskriminie­rende Altersgrenze aufrechterhalten werden.69

Ich lasse noch einmal den Kinderrechtler Ekkehard von Braunmühl zu Wort kommen: »Altersgrenzen verall­gemeinern und normieren oft überholte Erfahrungen zu ›durchschnittlichen‹ Erwartungen an die Leistungsfähig­keit und -bereitschaft von Menschengruppen. Damit do­kumentieren sie aber obrigkeitsstaatliches Misstrauen in die Freiheit konkreter Personen und führen in vielen Be­reichen zu unsinniger Diskriminierung. Um die Gleich­berechtigung der Generationen voranzutreiben, emp­fiehlt es sich deshalb, bedürfnis- und fähigkeitsbezogene Alternativen zu jeder Altersgrenze zu erarbeiten.« Damit »jedwede altersbegründete Benachteiligung/Ungleich­berechtigung« aufhören kann, muss geklärt werden, wie »bei kleinstmöglichem bürokratischem Mehraufwand ein größtmöglicher Abbau – oder sogar die vollständige Beseitigung – der Altersdiskriminierung erreicht werden kann. [...] Menschen, die irgendetwas Besonderes brau­chen und wollen (Schutz, Hilfe, Pflege usw.), brauchen und wollen dies nicht primär auf Grund ihres Alters, sondern auf Grund ihrer Situation und Bedürfnisse. Falls ich ein uralter Mummelgreis werden sollte, werde ich auf mancherlei Hilfe angewiesen sein, aber ich möchte diese Hilfe dann nicht bekommen, weil ich irgendein Alter er­reicht habe, sondern weil ich auf Hilfe angewiesen bin. Ebenso haben Kinder gewiss viele berechtigte An­sprüche, aber die müssen nicht aus ihrer Altersgruppen­zugehörigkeit, sondern können ohne Nachteil aus ihrem konkreten Entwicklungsstand und Leistungs(un)vermö­gen abgeleitet werden.«70

Der Gedanke lässt sich auch auf das Strafrecht über­tragen. Bereits jetzt werden gleiche strafbare Handlun­gen von verschiedenen Tätern nicht gleich bestraft, viel­mehr prüft der Richter die persönliche Situation des Täters, bevor er das Urteil verkündet. So kann zum Bei­spiel jemand, der bei der Tat betrunken war, auf eine ge­ringere Strafe hoffen. Warum soll nicht auch bei Kindern individuell zuerst be- und dann verurteilt werden?

Nebenbei bemerkt stehen Kindern bereits andere Grundrechte zu, ohne dass sie deshalb dem Erwachse­nenstrafrecht unterworfen wären. Eine ähnliche Er­kenntnis hat auch in den 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung Eingang gefunden: »Um gewisse Schutzrechte/Privilegien für Minderjährige aufrechtzu­erhalten, sei es im Übrigen unschädlich, wenn etwa die Altersgrenzen für die Geschäftsfähigkeit und Strafmün­digkeit einerseits und für das aktive Wahlrecht anderer­seits voneinander ›entkoppelt‹ würden.«71

Schließlich existieren bereits in vielen sozialen Berei­chen höchst unterschiedliche Altersgrenzen.72 So steht nach Vollendung des 14. Lebensjahres dem Kind die Ent­scheidung zu, zu welcher Religion es sich bekennen will, wer 15 Jahre alt ist, kann Sozialhilfeanträge stellen, ab sieben Jahren haften Kinder grundsätzlich für von ihnen verursachten Schaden und im gleichen Alter beginnt die so genannte beschränkte Geschäftsfähigkeit, während Jugendliche strafrechtlich mit 14 zur Verantwortung zu ziehen sind. Diese Aufzählung schränkt in keiner Weise ein, was zuvor zur Idee der fähigkeitsbezogenen Grenzen dargelegt wurde. Noch weniger relativiert sie die Aus­führungen zu Altersgrenzen bei Menschenrechten. Die genannten Grenzen sollten jedoch den Kritikern des Kin­derwahlrechts vor Augen führen, dass die Strenge, die beim Wahlalter gefordert wird, willkürlich ist.

Die Volksvertreter

Manche Gegner des Kinderwahlrechts wenden ein, dass die gewählten Abgeordneten Repräsentanten des ganzen Volkes sind und sich auch um die Belange derer küm­mern müssten, die gar nicht wählen wollen oder dürfen. Sie sind formal nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet, zugleich müssten sie ihre politischen Handlungen aber am Gemeinwohl orientieren, für das sie verantwortlich sind. »Die Abgeordneten [sind] keinesfalls ›nur‹ ihrem privaten Gewissen unterworfen, sondern vor allem an die geltende Verfassung und das durch sie begründete ›Amtsgewissen‹ gebunden.«73 Deshalb, so der Einwand, bedürfe es der direkten Beteiligung der Kinder gar nicht. Verantwortliche Politiker würden verantwortungsbe­wusst auch auf das Wohl aller jungen Menschen achten.

Letzteres mag sein. Aber die Praxis zeigt, dass es dann wohl zu wenig verantwortliche Politiker gibt. Wer will die Augen verschließen vor den in Kapitel 3 angerissenen Missständen? Der Eindruck bestätigt sich immer wieder, dass Kinder- und Jugendpolitiker sich zwar um Auf­merksamkeit und finanzielle Mittel bemühen, aber im Wettstreit mit den Vertretern der großen Politikfelder unterliegen. Das Kinderwahlrecht ist ein Mittel, dass daran etwas ändern kann; ihm kommt die Funktion ei­nes notwendigen Korrektivs zu. Zudem stellen viele Ab­geordnete zwar im Namen der Kinder Forderungen – wie die Debatte um die Schulreform zeigt – vertreten dabei jedoch ihre eigenen Ansichten und nicht die der Kinder.

Kinderparlamente

Kinder und Jugendliche sollen nicht gleich das richtige Wahlrecht erhalten, in Kinderparlamenten könnten sie ihre Interessen auch – vorläufig sogar besser – durchset­zen, so lautet ein weit verbreiteter Einwand gegen das Kinderwahlrecht. So genannte Partizipationsprojekte können tatsächlich wirksame Instrumente sein. Ich ken­ne keinen Befürworter des Kinderwahlrechts, der sich gegen gut organisierte Kinderbüros oder Kinderge­meinderäte ausspricht. Allerdings existieren bisher nur wenige Initiativen, die effektive Mitbestimmungsmög­lichkeiten haben. In den meisten Fällen sind sie auf das Wohlwollen des Gemeinderats oder des Bürgermeisters angewiesen und können nicht über Finanzen entschei­den. Sie agieren praktisch immer in einem begrenzten lo­kalen Zusammenhang; ihre Arbeit entspricht Bürgeri­nitiativen, die in Erwachsenenkreisen ebenso existieren und niemals als Alternative zum Wahlrecht angeführt werden. Leider haben viele der so genannten Beteili­gungsprojekte immer noch Alibicharakter und sollen das Ansehen der Politiker verbessern – ohne ihnen Zuge­ständnisse abzuverlangen.74

Wahlen ändern nichts...

...sonst wären sie verboten, lautet eine weit verbreitete Ansicht, da helfen auch Kinderstimmen nichts. Der Par­lamentarismus vermag nach Meinung vieler Menschen zahlreichen gesellschaftlichen Problemen nicht (mehr) gerecht zu werden. Schwerfälligkeit, Eigeninteresse von Politikern und die Abhängigkeit der Politik von Interes­sen der Wirtschaft nähren den Zweifel an der parlamen­tarischen Demokratie.

Aber auch das ist kein Grund, Kindern das Wahlrecht vorzuenthalten. Im Gegenteil. Kinder und Jugendliche werden durch das Wahlrecht – in Form von steigender Achtung – profitieren. Dieser Effekt würde auch dann eintreten, wenn sich das herrschende System der parla­mentarischen Demokratie tatsächlich als prinzipiell un­geeignet für die Gestaltung der Gesellschaft erweisen würde.

Die Kritik an den Schwächen des Parlamentarismus wird unter dem Motto geführt: »Wer wählt, hat die eige­ne Stimme bereits abgegeben!« Sich mit dieser Frage wei­ter auseinander zu setzen sprengt den Rahmen des vor­liegenden Buches. Falls durch die Einführung des Kin­derwahlrechts auch die kritische Diskussion des Par­lamentarismus einen Impuls bekäme, wäre das jedoch kein Fehler. Ich möchte sogar behaupten, dass Kinder und Jugendliche zu den potenziell konstruktiven Kriti­kern des Parlamentarismus zählen.75

8. Genügen das Stellvertreter­wahlrecht oder die Senkung des Wahlalters?

Das Kinderwahlrecht ergibt sich – wie oben dargelegt – unmittelbar aus den Menschenrechten und der Demo­kratie und lässt sich verfassungskonform durchsetzen. Aber wie soll man sich diese Wahlrechtsänderung prak­tisch vorstellen?

An der Beantwortung dieser Frage scheiden sich die Befürworter des Kinderwahlrechts. Einige, zumeist pro­minente Vertreter bevorzugen weniger provokante Vari­anten wie das Stellvertreterwahlrecht und die Absen­kung des Wahlalters, während andere Mitstreiter auf der Einführung des echten, uneingeschränkten Kinder­wahlrechts beharren. Versucht man, die verschiedenen Lösungsvorschläge systematisch zusammenzufassen, so fällt auf, dass die verschiedenen Konzepte jeweils von Vertretern bestimmter Berufe vertreten werden.

Die Verfechter des echten Kinderwahlrechts sind Pu­blizisten, kritische Pädagogen und Vertreter von Jugend­organisationen. Sie berufen sich auf die Menschenrechte und moralphilosophische Prinzipien wie die Gleichbe­rechtigung und messen ihre Forderungen an dem Effekt, den diese für Kinder erbringen können. Das Wahlrecht ist für sie nur einer der Schritte, ein methodisches Ele­ment, auf dem Weg zu einer für Kinder friedlichen Welt, die deren Bedürfnisse ernst nimmt und sich durch mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen auszeichnet.

Die Befürworter des Stellvertreterwahlrechts lassen sich in einer zweiten Gruppe zusammenfassen, die sich vorwiegend aus Juristen rekrutiert. In ihren Überlegun­gen fehlen Hinweise auf aktuelle Kinderinteressen völ­lig; Kinder kommen nicht als Persönlichkeiten im kindli­chen und jugendlichen Alter vor. Vielmehr spielen sie nur eine Rolle als Erbringer von Renten oder Abzahler der gewachsenen Staatsverschuldung, die unter den Folgen der jetzigen verfehlten Politik leiden werden – also erst dann, wenn sie erwachsen sind. Mit bewundernswerter Stringenz arbeiten einige Juristen die Gleichwertigkeit von Kindern und Erwachsenen aus Verfassungsgerichts­entscheidungen und dem Grundgesetz heraus. Aber ganz im Stil der weit verbreiteten Auffassung vom Kind als Objekt, das zu entwickeln und zu schützen ist, versa­gen sie ihm die tatsächliche politische Partizipation.

Eine dritte Gruppe bilden Politiker und andere, denen im aktuellen Tagesgeschehen praktische Vermittlungs­vorschläge abverlangt werden. Sie fordern geringfügige Wahlaltersenkungen. Ihre Motive sind gemischt. Teils hoffen sie, wenigstens für ältere Jugendliche Verbesse­rungen herauszuschlagen, teils meinen sie auch, mit ei­nem Kompromiss weiter gehende Wahlrechtsforderun­gen zu befriedigen. Und manche glauben, damit der so genannten Politikverdrossenheit entgegenwirken zu können.

Das Stellvertreterwahlrecht

Die Vorschläge

Wie bereits erwähnt, sind es vor allem Juristen, die vor­schlagen, Kindern zwar das Wahlrecht einzuräumen, je­doch die Stimmabgabe treuhänderisch durch die Eltern vornehmen zu lassen.76 Verfechter des Stellvertreter­wahlrechts haben sich 1997 zum Verein »Allgemeines Wahlrecht e.V.« zusammengeschlossen und sich folgen­des Ziel gesteckt: »Angestrebt wird eine stellvertretende Ausübung des Wahlrechts bis zum Erreichen der Voll­jährigkeit.«77 Abgesehen davon, dass schon der Begriff der »Ausübung des Wahlrechts« in sich fragwürdig ist, bleibt diese Position selbst unter Juristen wegen ihrer ju­ristischen Implikationen nicht unangefochten.78

Einen Sonderfall stellt hier die Position des Münchner Politologen und Rechtsanwalts Peter Merk dar, der sich für ein gemischtes System ausspricht. Bereits vor der Kinderkommission des Deutschen Bundestages vertrat er 1996 die Ansicht, dass Kinder selbst wählen soll­ten, wenn sie vorher ihren »Partizipationswillen« – den Wunsch, selbst mitzuwählen – offiziell bekundet haben. Diese Variante kommt der in diesem Buch favorisierten Form des Wahlrechts ohne Altersgrenze am Nächsten. Peter Merk möchte darüber hinaus jedoch erreichen, dass für die Kinder ohne Partizipationswillen die Eltern stellvertretend wählen, damit die Kinderstimmen nicht »verloren« gehen und der erhoffte Zugewinn an Genera­tionengerechtigkeit nicht durch Noch-nicht-Wähler ge­schmälert wird.79

Ein anderer Sonderfall des Stellvertreterwahlrechts ist das Familienwahlrecht, demzufolge Kinder auch im juri­stischen Sinn ohne Wahlrecht bleiben, die Eltern jedoch pro Kind eine Zusatzstimme erhalten. Das läuft auf ein Pluralwahlrecht80 hinaus und verstößt gegen den in der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz, der allen modernen Demokratien als unverzichtbar gilt.81 Diese Variante wird gegenwärtig nicht ernsthaft diskutiert.82

Die Kritik

Es muss bezweifelt werden, dass Eltern wirklich im Sinne der Kinder abstimmen. Hierzu sind sie zwar nach der Argumentation der Befürworter des Stellvertreterwahl­rechts gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes verpflichtet. Dort heißt es: »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob­liegende Pflicht.« Daraus schlussfolgert der bayerische Jurist Konrad Löw, »dass die Eltern die von der Natur berufenen Interessenvertreter ihrer Kinder sind«83. Aus meiner – und wohl nicht nur meiner – Erfahrung mit zahlreichen jungen Menschen ist das eine sehr formale, rein juristische und realitätsferne Sichtweise, die sich auch in der Aussage von Lore Maria Peschel-Gutzeit wie­der findet: »Bei der Ausübung des Wahlrechts müssten sich die Eltern – wie bei allen anderen das Kind betreffen­den Entscheidungen auch – allein am Wohl des Kindes orientieren.«84 Das ist eine unkontrollierbare Vorschrift.

Überraschenderweise stellt selbst Hans Hattenhauer, einer der Befürworter des Stellvertreterwahlrechts, fest: »Wo es um die minderjährigen Kinder geht, arbeitet man dort plötzlich statt mit dem angemessenen Begriff ›Recht‹ mit der wolkigen Vokabel ›Kindeswohl‹. Bisher hat niemand das ›Kindeswohl‹ trotz großer Anstrengun­gen auf einen klaren Begriff bringen können.«85 Allein die allgegenwärtige Diskrepanz zwischen den Erwartun­gen, die einerseits Eltern und andererseits Kinder an die Schule richten, kann die Fragwürdigkeit der Floskel vom Kindeswohl deutlich machen. Von solchen Sachverhal­ten zeigt sich der Jurist Konrad Löw unbeeindruckt: »Wenn dennoch die Eltern prinzipiell als die gesetzlichen Vertreter der Kinder anerkannt sind, so deshalb, weil die Erfahrung zeigt und der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Eltern die wahren Kindesinteressen besser erkennen, als die Kinder selbst und unterstellt werden darf, dass ih­nen am Wohle ihrer Kinder sehr viel gelegen ist.«86

»Weil die Erfahrung zeigt und der Gesetzgeber davon ausgeht«–diese Formulierung aus dem Munde eines Ju­risten kann als Versuch aufgefasst werden, sein Plädoyer abzurunden und die eigene Position zu retten. Aber in Wirklichkeit lehrt die Erfahrung – wenn auch nicht in al­len Familien – etwas anderes. In Familien, in denen ein gutes Verhältnis zwischen den Generationen herrscht, wären Eltern sicher faire, akzeptierte Berater, die ihre Macht nicht ausnutzen. Weshalb aber sollten gerade sie den Kindern und Jugendlichen die Wahlentscheidung ab­nehmen? In Familien, in denen Kinder Angst haben, sich unwohl fühlen, ausgenutzt werden und in denen die El­tern die Kinder kommandieren, darf im Gegensatz zu Konrad Löw »unterstellt werden«, dass die Eltern das Kindeswohl nicht (er)kennen. Eher muss wohl mit dem Politologen Claus Offe gefragt werden: »Und würden sie sich überhaupt um das Kindeswohl bemühen – statt um die Aufbesserung ihres laufenden Haushaltseinkom­mens im zumindest vornehmlich eigenen Interesse, das nicht immer mit dem langfristigen87 Kindeswohl über­einzustimmen braucht?«88 In diesen Familien besteht ein verhängnisvolles Eltern-Kind-Machtgefälle. Gerade dort müssten die Kinder selbst wählen dürfen.

Mir scheint die Argumentation der Juristen bezüglich des Elterninteresses am Kindeswohl abstrakten Überle­gungen zu entspringen. Wenigstens schimmert auch bei Konrad Löw ein Rest Zweifel durch, wenn er feststellen muss: »Wie aber bei allen anderen Entscheidungen, die Eltern zu Gunsten und zu Lasten ihrer Kinder treffen, sind sie es, die letztlich bestimmen, da sie auch die Ver­antwortung tragen. Wenn schon unsere Abgeordneten an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, so erst recht nicht die Eltern an die Wünsche ihrer Kinder. An­dernfalls gäbe es keinen sachlichen Grund, die Entschei­dung nicht durch die Kinder selbst treffen zu lassen.«89 Mit diesem Vergleich von Eltern und Abgeordneten hat Konrad Löw wohl selbst den zentralen Schwachpunkt des Stellvertreterwahlrechts deutlich gemacht und sich damit in letzter Konsequenz widerlegt. Abgeordnete werden nämlich abgewählt, wenn der Souverän sie nicht mehr will. Kinder können ihre Eltern nicht abwählen.

Die Höchstpersönlichkeit

Zunächst kann festgehalten werden, dass an das Stell­vertreterwahlrecht keinerlei Hoffnungen geknüpft sind, den Kindern, von ihrem Subjektstatus ausgehend, einen Zuwachs an Beachtung und damit an Emanzipations­möglichkeit zukommen zu lassen. Ernst genommen zu werden, mitzubestimmen und Einfluss nehmen zu kön­nen – das alles bleibt beim Stellvertreterwahlrecht grund-sätzlich und dauerhaft unberücksichtigt. Weil sich beim Kinderwahlrecht mehrere Argumentations­stränge verschränken, spricht nicht nur aus der Perspek­tive der Gleichberechtigung und des Subjektstatus, der auch bei Kindern anerkannt werden soll, sondern eben­so aus juristischer Sicht vieles gegen das Stellvertreter­wahlrecht.

Die Begründung des Stellvertreterwahlrechts läuft auf das bereits diskutierte Verhältnis von Artikel 20 (2), 79 (3) und 38 (2) des Grundgesetzes hinaus. Allerdings hat sie einen zentralen Schwachpunkt – den Verstoß gegen das Prinzip der Höchstpersönlichkeit der Wahl.

Im wichtigsten Kommentar des Bundeswahlgesetzes betont Wolfgang Schreiber: »Die Vertreter des Modells eines ›Kinderwahlrechts‹ übersehen, dass eine Stellver­tretung beim aktiven Wahlrecht verfassungsrechtlich überhaupt nicht zulässig und mithin eine einfachrechtli­che Einführung des Stellvertretermodells nicht möglich ist. Sie kann nicht im Sinne lediglich einer – von ihr abtrennbaren – Wahlrechtsausübungsregelung ausge­legt werden. Als (aktives) Statusrecht und (politisches) Grundrecht ist das aktive Wahlrecht ein höchstpersönli­ches Recht und damit der Disposition des Bürgers entzo­gen; es ist weder veräußerlich noch abtretbar, noch ver­zichtbar, noch kann es zur Ausübung übertragen werden. Das Gebot der höchstpersönlichen Stimmabga­be, wie es in Paragraf 14 (4) BWahlG normiert ist, stellt die Konkretisierung der in Artikel 38 (1) Satz 1 GG fest­geschriebenen Grundsätze der unmittelbaren, geheimen und freien Wahl dar. [...] Das geltende Bundestags­wahlrecht geht deshalb von der Unzulässigkeit der Stell­vertretung aus (auch bei der Briefwahl und bei der Unter­stützung von Hilfspersonen im Rahmen der Stimmab­gabe).«90 An einer anderen Stelle des Wahlgesetzkom­mentars wird letzteres erläutert: »Bei der Tätigkeit der Hilfsperson handelt es sich lediglich um eine ›technische‹ Hilfeleistung bei der Kundgabe des Wählerwillens, nicht um eine Stellvertretung. [...] Eine Einflussnahme auf die Stimmabgabe seitens der auserwählten Person ist un­statthaft. Die Hilfestellung hat sich auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers zu beschränken.«91

Konkret zum Kinderwahlrecht äußert sich der Jurist Ingo von Münch unmissverständlich: »Bei der Ausü­bung eines Wahlrechts von Minderjährigen durch den gesetzlichen Vertreter geht es dagegen gerade nicht um eine bloße ›technische Hilfeleistung‹, sondern um die in­haltliche Wahlentscheidung selbst. Die inhaltliche Wahl­entscheidung lässt aber eine Stellvertretung nicht zu.«92 Das scheint ein vernichtendes Urteil gegen das Stellver­treterwahlrecht zu sein.

Da aber die Verteidiger des Stellvertreterwahlrechts trotz der ihnen widersprechenden Argumentation ihrer Idee weiterhin anhängen, sollen kurz ihre Positionen und Rechtfertigungen dargestellt werden. Die wohl prominenteste Befürworterin des Stellvertretungswahl­rechts Lore Maria Peschel-Gutzeit macht es sich ziem­lich einfach, wenn sie schreibt: »Diese Kritiker können freilich nicht erklären, wieso der Grundsatz der Höchst­persönlichkeit bereits nach derzeit geltendem Recht durchbrochen ist. Sowohl die Briefwahl als auch der Wahlhelfer stellen in ihrer praktischen Durchführung Ausnahmen vom Grundsatz der kontrollierten Höchst­persönlichkeit dar.«93 Lore Maria Peschel-Gutzeit führt zur Stützung ihrer Position kurzerhand eine neue Kate­gorie ein, die »kontrollierte Höchstpersönlichkeit«. Sie lässt jedoch offen, wie sich diese von der »eigentlichen« Höchstpersönlichkeit unterscheidet. Zugleich übergeht sie Wolfgang Schreibers Argumentation bezüglich des Briefwahlrechts und der Einbeziehung von Hilfsperso­nen ohne Kommentar. Auch der Befürworter des Stell­vertreterwahlrechts Hans Hattenhauer argumentiert ähnlich wie Lore Maria Peschel-Gutzeit. Zwar gelte, »dass bereits die Einführung des Briefwahlrechts recht­lich bedenklich gewesen sei und dass nach dem Prinzip ›abusus non tollit usum‹ der dort begangene Verstoß gegen das Höchstpersönlichkeitsdogma weitere Ver­letzungen nicht rechtfertige«. Da jedoch »in unserer Rechtsordnung die Möglichkeit gestufter, relativer Höchstpersönlichkeit sich nicht behaupten lässt«, kön­ne im Wahlrecht schon jetzt nicht mehr »dessen – nur ab­solut mögliche – Geltung behauptet werden«.94 Folgt man Hans Hattenhauers Argumentationsgang, so könn­te man auch begründen, dass in Selbstbedienungsläden nie mehr bezahlt zu werden braucht, da ja ohnehin einige Leute stehlen. Es gibt aber keine Gleichheit im Unrecht. Auch sein Versuch, die Höchstpersönlichkeit im Span­nungsfeld von Personenrecht und Vermögensrecht zu verorten und dort das Wahlrecht dem Vermögen zuzu­schlagen, scheint sehr weit hergeholt und nicht schlüssig. »Die Person ›vermag‹ mit dem Eigentum an Sachen frei umzugehen. Sie kann sich hierbei vertreten lassen. Mit sich selbst aber soll nur sie selbst ›höchstpersönlich‹ um­gehen. [...] Dass die Ausübung des Wahlrechts zum rechtlichen Können, im weiteren Sinne ›Vermögen‹ der Person – als ein subjektiv-öffentliches Grundrecht – ge­hört, wird heute nicht bezweifelt. Daher muss man den Grund angeben, wenn man auf höchstpersönlicher Stimmabgabe besteht. [...] An einem überzeugenden Grund aber fehlt es bis heute.« Es darf bezweifelt wer­den, dass diese juristische Konstruktion vor einem Ge­richt Bestand hätte. Der Fehler Hans Hattenhauers ent­steht, wenn er das Grundrecht der politischen Mitbe­stimmung, das Wahlrecht, auf derselben Ebene ansiedelt wie das »Wirtschafts-, Steuer-, Miet-, Vermögensrecht etc.«.95 »Kein Mensch zweifelt bei uns daran, dass das Neugeborene Eigentümer, Steuerzahler, polizeipflichtig, Schuldner wie Gläubiger sein kann, dass ihm ein Milliar­denvermögen gehören kann, obwohl es an der Mutter­brust davon absolut nichts ahnt. Der Zentralbegriff, mit dem wir dieses Bündel von Rechten und Pflichten zusam­menfassen, ist der der Rechtsfähigkeit. Erscheinungsfor­men der Rechtsfähigkeit sind auch die Grundrechts­fähigkeit und die Wahlrechtsfähigkeit.«96

Wenn die bereits früher dargelegte prinzipielle Bedin­gungslosigkeit von Grundrechten nicht aufgegeben wer­den soll, ist das unlogisch und nicht haltbar. Bei allem ju­ristischen Einfallsreichtum muss die Position von Hans Hattenhauer verwirrend genannt werden. Nachdem er an anderer Stelle nachwies, dass das Wahlrecht ein Grundrecht ist und deshalb auch Kindern zustehen muss, macht er nun den Kindern dieses Grundrecht streitig, da er den Eltern die Stimme zukommen lassen möchte.

Den Bezug zu einem anderen Grundrecht stellt Win­fried Steffani in seiner Rechtfertigung des Stellvertreter­modells (»vorübergehende Rechtsausübung durch Er­mächtigte«) her: »Ein Grundrecht (etwa das Recht auf Eigentum) von Geburt an haben, bedeutet keineswegs, dass es auch von Geburt an ausgeübt werden muss.«97 Neben der üblichen falschen Denkgewohnheit von der Rechts-»Ausübung« bemüht er ausgerechnet das »Grundrecht auf Eigentum«. Das Grundrecht auf Eigen­tum ist jedoch ein untaugliches Beweismittel für die Stell­vertretung, da es mit einer Bedingung ausgestattet ist: »Eigentum verpflichtet« steht im 2. Absatz des Artikel 14 des Grundgesetzes. Aus Eigentum erwachsen zum Beispiel Steuerpflichten; Steuern muss auch ein Eigen­tum besitzender Säugling entrichten. Vertreten wird man also nur in Situationen mit einer Handlungsver­pflichtung und diese Verpflichtung ist nicht an die Höchstpersönlichkeit gebunden.

Lore Maria Peschel-Gutzeit bringt ein weiteres Argu­ment vor. Da sie nur die beiden Alternativen Stellver­treterwahlrecht (Verstoß gegen Höchstpersönlichkeit) und Wahlrecht ab 18 (Verstoß gegen Allgemeinheit) be­trachtet, kommt sie zu dem Schluss, dass bei Einhaltung des Höchstpersönlichkeitsprinzips zwangsläufig der All­gemeinheitsgrundsatz eingeschränkt werden müsste. »Im Rahmen einer notwendigen Interessenabwägung zwischen den beiden Verfassungsgrundsätzen [dürfte] dem Allgemeinheitsgrundsatz der Vorrang zu gewähren sein.«98

Unverständlicherweise erwähnen weder Hans Hatten­hauer noch Lore Maria Peschel-Gutzeit den Vorschlag eines echten Kinderwahlrechts, bei dem das Höchstper­sönlichkeitsprinzip gewahrt bleibt, ohne mit dem Grundsatz der Allgemeinheit zu kollidieren, obwohl bei­de die entsprechenden Argumente kennen.99

Außerdem geben die Stellvertretungsbefürworter kei­ne Antwort auf das Problem bei Stiefeltern, bei national gemischten Ehen, bei Eltern, die selbst noch nicht 18 Jah­re alt sind, bei ausländischen Eltern mit deutschen Kin­dern, bei Scheidungsstreitigkeiten usw. Soll bei Waisen­kindern das Jugendamt die den Eltern zustehende Stimme abgeben können?100

Die Absenkung des Wahlalters

Die Vorschläge

Neben dem Modell des Stellvertreterwahlrechts existiert der an Popularität gewinnende Vorschlag, das Wahlalter partiell abzusenken. Hierzu melden sich neben anderen Autoren der bekannte Jugendforscher Klaus Hurrel­mann101, aber auch Parteien (PDS, SPD, Bündnis90/Die Grünen102) zu Wort.103 Sie erheben diese Forderung aus juristisch-formalen Machbarkeitsgründen teilweise ein­geschränkt auf Kommunalwahlen. In den Bundeslän­dern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-West­falen und Schleswig-Holstein,104 Mecklenburg-Vor­pommern und zwischenzeitlich in Hessen haben sie ein kommunales Jugendwahlrecht ab 16 bereits durchge­setzt. Die PDS möchte das Wahlalter sogar bei Bundes­tagswahlen auf 16 Jahre senken und Bündnis 90/Die Grünen in Berlin will für Kommunalwahlen ein Mindest­wahlalter von 14 Jahren einführen.

Klaus Hurrelmann setzt sich sogar für zwölf Jahre ein. »Die kognitive Entwicklungsforschung zeigt, dass in der Alterspanne zwischen zwölf und vierzehn Jahren bei fast allen Jugendlichen ein intellektueller Entwicklungs­schub stattfindet, der sie dazu befähigt, abstrakt, hypo­thetisch und logisch zu denken. Parallel dazu steigt in dieser Altersspanne auch die Fähigkeit an, sozial, ethisch und politisch zu denken und entsprechende Urteile abzu­geben.«105

Hinter den verschiedenen Überlegungen zu einem niedrigeren Wahlalter steht, wie das Zitat belegt, die fragwürdige Vorstellung von der »Ausübung des Wahl­rechts«, also das Festhalten an der Wahlfähigkeit. Zu­dem bestätigt die Unterschiedlichkeit der Altersforde­rungen die Unmöglichkeit, die nötigen Fähigkeiten zu benennen oder sie gar einem bestimmten Alter zuzuord­nen. Daher ist dieses Verfahren von vornherein unge­recht, da es immer Menschen ausschließt, die unter der nach Gutdünken gezogenen Altersgrenze liegen.

Obwohl die Wahlaltersenkung nur eine gemäßigte Va­riante des Kinderwahlrechts darstellt, kommt dennoch deutliche Kritik aus der konservativen Ecke.106 »Der Wähler muss ernst genommen werden. Der fühlt sich verschaukelt, wenn er sehen muss, dass die Politik je­mandem das Wahlrecht schenkt, den sie nicht für verant­wortungsvoll genug hält, einen Personenkraftwagen zu führen. Das bedeutet, ein Kinderwahlrecht muntert nicht nur nicht die Kids auf, es verdrießt die Erwachse­nen. Warum soll ich noch wählen, wenn ich gewärtigen muss, dass der 16-jährige Bengel von nebenan nach mir die Wahlkabine betritt, auf dem Wahlzettel seinen Rock­sänger vermisst und deshalb die Zahl der ungültigen Stimmen vermehrt.«107 Offen bleibt, wie der Autor die­ser Zeilen die zahlreichen erwachsenen Wähler verkraf­tet, denen die Fahrerlaubnis wegen ihrer Verantwor­tungslosigkeit wieder entzogen wurde. Aber unsachliche Äußerungen, die lieber mit Vorurteilen und emotionaler Ablehnung statt mit Argumenten arbeiten, findet man vielerorts. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag Michael Glos schlägt in die gleiche Kerbe: »Das Wahlrechtsalter kann nur Ausweis sein für die po­litische und rechtliche Mündigkeit des jungen Men­schen, die aber mit 16 bekanntlich nicht gegeben ist. [...] Die jetzige Regelung mit dem Wahlrechtsalter hat sich bewährt und wird der gesellschaftlichen und politischen Lebenswirklichkeit gerecht.«108

Mit bloßen Behauptungen ohne inhaltliche Substanz kommen diese Stimmen daher und machen es den Ver­fechtern der Absenkung der Altersgrenze schwer. »Alle Umfragen – zuletzt die in Brandenburg – haben ergeben, dass die Mehrheit der Jugendlichen keine Wahlrechtsän­derung will. Zeigen Sie mir eine einzige Umfrage mit ei­nem gegenteiligen Ergebnis! [...] Es bleibt der fatale Ein­druck, dass hier ein taktisches Spiel gespielt wird, um Stimmen zu fangen.«109

Die Befürworter der Alterssenkung erhoffen sich takti­sche Vorteile, lautet dieser typische Vorwurf. Erstens bleibt der Einwand unbewiesen, zweitens ist er kein ern­stes Argument gegen die Alterssenkung, wie das Beispiel Niedersachsen beweist. Dort profitierte die CDU bei den Kommunalwahlen wider Erwarten von der Wahlalter­senkung der SPD-Regierung – und ist zumindest vor Ort zurückhaltender in ihrer Ablehnung geworden.

Vor allem aber handeln Kritiker des Kinderwahlrechts inkonsequent, die mit den oben genannten Umfrageer­gebnissen argumentieren. Die Tatsache der Befragung beweist, dass sie Jugendliche ernst nehmen. Sie unterstel­len ihnen unausgesprochen ausreichend »Reife«, um über eine Wahlrechtsänderung zu befinden. Das Ergeb­nis der Befragung wird – falls sich die Mehrheit dagegen ausspricht – auch tatsächlich ernst genommen; ihnen wird die eigentliche Wahlentscheidung vorenthalten und paradoxerweise mit dem »Fehlen politischer Reife« be­gründet. In diesem Fall stellt sich die Frage, warum man die Jugendlichen nicht gleich wählen lässt. Wer nicht wählen will, weil er sich nicht für reif genug hält, wird schließlich einfach nicht hingehen. Die Argumentation mit den Befragungsergebnissen hat einen weiteren Ha­ken. Wenn sich die Mehrheit der Jugendlichen gegen ihr eigenes Wahlrecht ausspricht, darf als Folge auch dieje­nige Minderheit nicht abstimmen, die abstimmen will. Mit derselben Logik könnte man Menschen das Demon­strieren verbieten, weil sie nicht in der Mehrheit sind.

Der Vorschlag, das Wahlalter nur um einige Jahre zu senken, wird nicht besser, wenn die traditionellen Kriti­ker nur schwache Gegenargumente haben.

Die Kritik

Die partielle Wahlaltersenkung setzt auf mehrere Effek­te. Erstens sollen die Jugendlichen ernster genommen und tatsächlich einbezogen werden. Zweitens sollen die Parteien genötigt werden, bestimmte Interessen in ihrer Politik besser oder überhaupt zu berücksichtigen. Die Befürworter erhoffen sich zudem, dass dadurch die viel­beklagte Politikverdrossenheit zurückgeht.

Der Kritiker muss zunächst zugeben, dass die Senkung des Wahlalters beispielsweise auf zwölf Jahre – und für alle Wahlen bundesweit – diese Wirkungen, die auch mit dem echten Wahlrecht angestrebt werden, entfalten kann. Dennoch soll hier das Konzept der teilweisen Al­terssenkung auf seine Schwächen überprüft werden.

Die Kritik an der Senkung des Wahlalters fällt aus mehreren Gründen deutlich aus. Ein Grund liegt darin, dass die genannte Grenze von zwölf Jahren für alle Wahlen in weiter Ferne ist. Die übliche Forderung lautet vielmehr, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken und das auch nur bei Kommunalwahlen. Mit dieser geringfü­gigen Alterssenkung sind die oben genannten Ziele kaum zu erreichen. Der gesellschaftliche Schub kann nicht eintreten, da Politiker nur wenig motiviert werden, ernsthafte Änderungen herbeizuführen. Die Bundes­und Landespolitik ist in diesem Fall von den neuen Wählern nicht abhängig, obgleich viele jugendrelevante Entscheidungen nur dort getroffen werden. Das wichti­ge Thema Schule unterliegt beispielsweise dem Landes­recht. Außerdem stehen bzw. stünden bei kommunalem (und selbst bei bundesweitem) Wahlrecht für die 16­Jährigen den Politikern gerade einmal zwei Prozent zu­sätzliche Wähler gegenüber.110 Zudem ist die neue Wäh­lerschaft nur hinzugekommen, weil sie »schon reif« ist. Sie muss von den Parteien und Kandidaten deshalb kaum anders berücksichtigt werden als die bisherigen er­wachsenen Wähler. Folglich müssen die Wahlprogram­me nicht geändert werden, es kann alles beim Alten blei­ben. Dies gilt natürlich auch für den Stil der Politik und des Wahlkampfes.

Die Politik kann für Kinder wichtige Probleme – zum Beispiel im Elternhaus und in der Schule – mit der glei­chen Selbstverständlichkeit wie in der Vergangenheit vernachlässigen, denn die 16- und 17-Jährigen, selbst wenn sie zu 100 Prozent und begeistert mitwählen, ha­ben an Kinderthemen kaum noch Interesse, weil sie dafür schon zu alt sind.

Ein zentrales Element der Idee der Wahlaltersenkung um wenige Jahre ist die Auffassung, dass die »Kleinen« in erster Linie behütet werden müssen – und damit fak­tisch bevormundet werden. Die Tatsache, dass nur die angeblich »reifen« Jugendlichen mitmachen können, verfestigt die Vorurteile gegenüber den jüngeren Kindern und Jugendlichen. Und selbst die neuen Wähler werden im Rahmen der üblichen Vorschläge weiterhin diskrimi­niert, da sie bis zu ihrem 18. Geburtstag angeblich nur im kommunalen Zusammenhang fähig sind, eine ernsthafte Meinung zu haben. Der Effekt, dass Kinder nach wie vor für unfähig gehalten werden, sich politisch zu beteiligen, wiegt schwer. Sie werden damit eben nicht ernst genom­men. Die große Chance, dass Eltern und Erwachsene ge­nerell sich wegen des Kinderwahlrechts anders auf ihre Kinder einlassen, in ihnen gleichberechtigte Mitmen­schen und nicht zu schützende Objekte sehen, wird mit der partiellen Alterssenkung vertan.

Schließlich darf neben der Kritik an den politischen Implikationen der wesentliche juristische Einwand gegen die Wahlaltersenkung nicht vergessen werden. Sie verstößt gegen den Verfassungsgrundsatz der Allge­meinheit der Wahl. Die Vereinbarkeit mit dem Allge­meinheitsprinzip wird bisher damit begründet, die Al­tersgrenze sei eine »traditionell erhärtete« und »ge­wohnheitsrechtlich anerkannte« Ausnahme. Die Vertre­ter der partiellen Alterssenkung müssten dies zunächst in Frage stellen, um die bisherige Altersgrenze aufzuheben, und anschließend wieder verteidigen, um die neue Al­tersgrenze festzuschreiben. Mit der teilweisen, eher ge­ringfügigen Änderung des Wahlalters ist also ein schwer begründbarer Willkürakt verbunden.


Am Ende des Kapitels lassen sich die beiden Änderungs­vorschläge zum Kinderwahlrecht zusammenfassen. Das Stellvertreterwahlrecht leidet an einer doppelten Inkon­sequenz: Kinder werden nicht ernst genommen und das Höchstpersönlichkeitsdogma unseres Wahlsystems ist verletzt. Die Hoffnung, dass die Eltern wirklich die Inter­essen der Kinder vertreten, ist außerdem vage.

Die partielle Alterssenkung ist aus menschenrechtli­cher Sicht halbherzig und insbesondere mit dem Vor­schlag »16 Jahre bei Kommunalwahlen« überwiegend perspektivlos, da mit spürbaren Änderungen der Politi­kinhalte nicht gerechnet werden kann und die Vorbehalte gegenüber den »Kleinen« verfestigt werden–vornehm­lich was ihre Grundrechte und die Frage, ob sie ernst ge­nommen werden, betrifft. Sie verstößt außerdem gegen den Allgemeinheitsgrundsatz unserer Verfassung.

Aus den genannten Gründen inhaltlicher wie juri­stisch-formaler Art sollte der Schluss gezogen werden, sich der voreiligen, unüberlegten, nur scheinbar moder­nisierenden Senkung des Wahlalters um wenige Jahre ebenso zu widersetzen wie einer Stellvertreterlösung. Die Gründe und das weiterreichende Ziel müssen dabei mit vermittelt werden, damit eine Verwechslung mit konser­vativer Kritik ausgeschlossen ist.

9. Wie soll das Kinderwahlrecht praktisch funktionieren?

Ich komme nun zum wirklichen Kinderwahlrecht, das davon ausgeht, dass Kinder unabhängig von ihrem Alter selbst wählen gehen. Diese Vorstellung ist erfahrungs­gemäß sehr gewöhnungsbedürftig, trotzdem wird diese Position ernsthaft vertreten.

Die radikale Forderung nach einem höchstpersönli­chen Wahlrecht wurde zuerst von den klassischen Kin­derrechtlern Richard Farson, John Holt und Howard Cohen in den 70er Jahren erhoben. Einige deutsche111 und internationale112 Autoren und Gruppen haben in­zwischen deren Argumente aufgegriffen und treten da­mit an die Öffentlichkeit. Sie werden in letzter Zeit durch andere Gruppen, z.B. durch Jugendorganisationen der Parteien, der katholischen Kirche und durch das Deut­sche Kinderhilfswerk unterstützt. Auch nach meiner Überzeugung wird nur diese Variante des Kinderwahl­rechts am Ende der Diskussion noch Bestand haben.

Da die Diskussion aber darunter leidet, dass sie vor al­lem abstrakt geführt wird, möchte ich einen Entwurf vorstellen, der praktikabel und nachvollziehbar ist. Das Wahlrecht muss nicht nur den Verfassungsgrundsätzen der Gleichheit und Freiheit entsprechen, es muss mög­lichst fehlerfrei durchführbar sein, von den Wählern ver­standen und akzeptiert werden. Viele Menschen stehen dem Kinderwahlrecht vermutlich skeptisch gegenüber, weil sie sich die Einzelheiten nicht vorstellen können.

Im folgenden Abschnitt soll deshalb die praktische Realisierbarkeit des echten Kinderwahlrechts überprüft werden. Oberstes Kriterium dabei ist, keine vorherseh­baren Verschlechterungen für die Beteiligten und die ganze Gesellschaft zu riskieren. Wenn das Gedankenex­periment darüber hinaus Verbesserungen erwarten lässt, könnte und müsste es in die Praxis umgesetzt werden. Ich werde versuchen, alle denkbaren Risiken und Effekte zu erörtern und möchte folgende Fragen beantworten:

Die Umstellung des Wahlrechts ist selbstverständlich eine komplexe Aktion, die in entsprechenden Gesetzge­bungsverfahren oder -vorverfahren von vielen Betroffe­nen und Fachleuten qualifiziert werden kann und muss. Die nachfolgenden Überlegungen müssen als erster Schritt in diesem Prozess aufgefasst werden.

Die allem vorausgehende Anfangsannahme, das Axi­om meines Gedankenexperiments, soll also lauten:

Jeder Mensch, der wählen möchte, darf unabhängig von seinem Alter nicht daran gehindert werden.113

Das entspricht der Streichung des Artikels 38 (2)114 des Grundgesetzes, in dem die Altersgrenze auf 18 Jahre festgelegt ist – mit entsprechenden Konsequenzen im Bundeswahlgesetz und anderen Bundesregelungen, auf die ich noch eingehe. Die Überlegungen sollen jedoch von der Bundesebene auf die Länder und Kommunen übertragen werden, so dass die neue Norm für alle Wah­len und Abstimmungen gelten kann.

Die Gefahr politischer Umbrüche

Die neue Regelung des Wahlrechts darf kein Chaos in der Parteienlandschaft, in den Parlamenten und damit bei der Gesetzgebung auslösen. Will man die Altersgrenze streichen, erfordert das beruhigenderweise keinerlei Än­derung an den parlamentarischen und administrativen Strukturen, auch nicht an verbesserungsbedürftigen. Un­ser politisches System wird damit nicht in Frage gestellt.

Quantitative Überlegungen

Die hinzutretenden Stimmen der Kinder und Jugendli­chen haben nicht die Kraft, ruckartig zu einem neuen Re­gelwerk der Gesellschaft zu führen. Die Entscheidungen hängen nach wie vor wesentlich von den erwachsenen Wahlberechtigten ab, die etwa 80 Prozent der Bevölke­rung bilden. Nach amtlichen Angaben115 gibt es in Deutschland rund 74,6 Millionen Deutsche,116 davon sind 14,1 Millionen im Alter von null bis 18 Jahren. Das entspricht einem Anteil von 18,9 Prozent.

Natürlicherweise werden nicht alle der neuen unter­18-jährigen Wahlberechtigten tatsächlich wählen gehen. Wenn für eine Überschlagsrechnung nur die mindestens 6-Jährigen berücksichtigt werden, bleiben rund zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, also etwa 13 Prozent. Diese 13 Prozent werden sich kaum einig sein, so dass potenziell umstürzlerische Ideen keine direkte Chance haben.

Die Repräsentativität der Demokratie

Wähler haben keinen direkten Einfluss auf politische Entscheidungen. Gewählt wird nicht die Politik (so ge­nannte Sachvoten), gewählt werden Politiker (Personen­voten). Die Volksvertreter fällen ihre Entscheidungen in viel höherem Maß als der einfache Wahlbürger seine Wahlentscheidung auf der Grundlage von umfassenden Informationen und nach mehreren »Lesungen«, in de­nen die Folgen der Entscheidungen gegeneinander abge­wogen werden. Das Parlament ist mit und ohne Kinder­wahlrecht außerdem an gesetzliche Bestimmungen und Verfahrensweisen gebunden und muss Verfassungsvor­schriften beachten, es muss insbesondere die Grundrech­te und die verfassungsmäßige Ordnung schützen. Unsere Demokratie gewährt, wie der bekannte Verfassungs­rechtler Günter Dürig feststellt: »keine Freiheit den Fein­den der Freiheit. [. . . ] Wenn das Grundgesetz die ›frei­heitlich demokratische Grundordnung‹ schützt, so geht es darum, dass der politische Wettkampf bei aller Härte doch gewaltfrei (friedlich) zu erfolgen habe. Konflikte werden nicht unterdrückt, aber ihre Austragung muss zi­vilisiert erfolgen«.117 Aus diesen Verpflichtungen resul­tiert eine Stabilität, die jeden Kinderwahlrecht-Skeptiker beruhigen sollte.

Volksabstimmungen

Auch bei Volksabstimmungen, an denen Kinder dann teilnehmen, muss gewährleistet bleiben, dass wichtige Verfassungsgrundsätze nicht verletzt werden. Solche Verletzungen rühren aber nicht von den jungen Wählern her, sondern eher von bisher nicht ganz geklärten Grundprinzipien bei Volksabstimmungen. So spricht Günter Dürig von »völlig unprofessioneller Stümperei, wenn zum Beispiel in allen Forderungen, dass ›das Volk‹ in Zukunft abstimmen dürfe, ungesagt blieb: aber über was. Mindestens ein präziser Negativkatalog hätte also in die Debatte gehört. Denn es konnte ja wohl nicht wahr sein, dass, um einige Horrorbeispiele zu nennen, die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Ausweisung aller Ausländer, die Abschaffung der Bundesländer, der Aus­tritt aus der UNO, die Wiedererrichtung der Mauer usw. zur Volksabstimmung freigegeben werden sollten.«118

Es ist nicht ersichtlich, dass Kinderstimmen hier ein zusätzliches Risiko darstellen. Stattdessen aber hätten Kinder durch ihr Wahlrecht höhere Chancen, in Volks­initiativen und ähnlichen Formen sie interessierende Themen und Probleme auf die Tagesordnung zu setzen. Für den abschließenden Volksentscheid gelten jedoch die quantitativen Überlegungen, wie sie zuvor bereits zu den Wahlen angestellt wurden.

Wenn sich der Zusammenbruch unseres politischen Systems also durch die Einführung des Kinderwahl­rechts ausschließen lässt, muss man nun untersuchen, wie das Wahlrecht geändert werden muss und ob es dabei praktikabel bleibt.

Die Gesetzgebung und die Wahlleitung

Das Bundeswahlgesetz

Entsprechend der Voraussetzungen des Experiments, aus dem Axiom und dem Wegfall von Artikel 38 (2) des Grundgesetzes, ergibt sich eine Änderung im Bundes­wahlgesetz. Die Regelung der Altersgrenze in Paragraf 12 muss aufgehoben werden. Zum Vergleich habe ich die notwendige Änderung durch Streichung angegeben.

Wahlrecht und Wählbarkeit

§ 12 Wahlrecht:

(1) Wahlberechtigt sind alle Deutschen119 im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die am Wahltage

1. das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben,

2. seit mindestens drei Monaten in der Bundes­republik Deutschland eine Wohnung innehaben oder sich sonst gewöhnlich aufhalten,

3. nicht nach §13 vom Wahlrecht ausgeschlossensind.

Obwohl es unser Thema nur tangiert, möchte ich eine kurze Überlegung zum Ausschluss vom Wahlrecht nach Paragraf 13 einschieben:

§ 13 Ausschluss vom Wahlrecht:

Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist,

1. wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt,

2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; [...]

3. wer sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet.

Wegen Paragraf 13 Nr.1 (Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45 StGB) ist in Ber­lin zwischen 1992 und 1998 nur insgesamt drei Perso­nen das Wahlrecht aberkannt worden. Deshalb wäre der potenzielle politische Schaden gering, wenn diese Perso­nen anders bestraft würden als mit dem Ausschluss vom Wahlrecht. Auch die anderen ausgeschlossenen Grup­pen (§ 13 Nr. 2 und 3) könnten zugelassen werden, wenn man bedenkt, dass die Stimmen selbst abgegeben wer­den müssen (Grundsatz der Höchstpersönlichkeit). Es ist nicht anzunehmen, dass ein wesentlicher Teil wählen gehen würde. Unabhängig davon wäre die Beeinflussung des Wahlergebnisses aus folgendem Grund geringfügig: In Berlin waren 1999 (1995) wegen Paragraf 13 insge­samt nur 563 (629) erwachsene Personen vom Wahl­recht ausgeschlossen (Antwort auf die Kleine Anfrage 149/00 (133/96)). Diese Zahl entsprach in beiden Fällen 0,04 Prozent der gültigen Stimmen. D.h., selbst wenn alle diese Personen sich an der Wahl persönlich beteiligt, alle eine gültige Stimme abgegeben und alle dieselbe »falsche« Partei gewählt hätten, wäre der entstandene »Fehler« des Wahlergebnisses zu vernachlässigen. Allein die Zahl der ungültigen Stimmen betrug bei den Zweit­stimmen 17.646 (24.683). Deshalb schlage ich im Sinn der geforderten Normenklarheit des Wahlrechts vor, Paragraf 13 BWahlG wegen seiner vernachlässigbaren Auswirkungen komplett zu streichen und in Paragraf 12 nur (1) Nr. 2 stehen zu lassen. Das würde u.a. viel ge­richtliche Mühe ersparen, keinen politischen Schaden anrichten und die Würde der Betroffenen nicht unnötig verletzen. Eine derartige pragmatische Herangehenswei­se ist beim Wahlrecht durchaus üblich, wie die Überle­gungen von Wolfgang Schreiber (1999) im Zusammen­hang zum Beispiel mit dem Zweistimmensystem, dem Ausländerwahlrecht und auch mit der Problematik von »Betreuungsfällen« belegen.

Aber auch wenn man diese, auf alle Fälle geringfügige Beeinflussung des Wahlergebnisses vermeiden möchte, wird an der gegenwärtigen Formulierung des Paragrafen 13 deutlich, dass außer bei Kindern eine individuelle Prüfung des Einzelfalles dem Ausschluss vorhergeht.

Zurück zum Thema. Reichen die oben vorgeschla­genen Änderungen von Grundgesetz und Wahlgesetz aus, den reibungslosen Ablauf des Kinderwahlrechts zu garantieren, oder machen sich weitere Maßnahmen er­forderlich?

Der Partizipationswille

Muss unter den neuen Bedingungen jeder Bürger eine Wahlbenachrichtigung erhalten, die ihm die Sicherheit gibt, registriert zu sein, und ihn darüber informiert, wo und wann er wählen kann? Da nicht alle jungen Men­schen Interesse an der Wahl entwickeln werden, sollte man überflüssigen Aufwand (Verwaltungs-, Druck- und Portokosten) vermeiden. Eine mögliche Lösung kann vom Wahlsystem anderer westlicher Demokratien abge­schaut werden.

In den USA bestehen wie in Deutschland bestimmte Voraussetzungen, an die die Wählerqualifikation ge­knüpft wird, aber anders als bei uns muss der Wähler sei­nen Wahlwillen bekunden und sich dafür in eine Wähler­liste eintragen lassen.120 Mit diesem Prinzip könnte der unsinnigen Übermittlung von Wahlunterlagen an sehr junge, noch nicht am Wählen interessierte Menschen entgegengewirkt werden. Abweichend zur USA-Rege­lung müsste sich jeder nur einmal im Leben anmelden und bekäme erst ab dann, wie üblich, die Wahlunterla­gen automatisch zugesandt.

Das wirft allerdings die Frage auf, wie dann die Wahl­beteiligung berechnet werden soll.121 Das ist insofern ein Problem, als in der Wahlbeteiligung üblicherweise Bin­dungsverluste des Bürgers an den Staat und politische Unzufriedenheit zum Ausdruck kommen. Bezieht man sich auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten (also alle ab Geburt)? Dann würde automatisch die Wahlbeteili­gung prozentual sinken. Oder nimmt man nur die Ange­meldeten zur Basis, von der aus der Prozentsatz ausge­rechnet wird? Dann erfährt man nur wenig über die Anzahl der Nichtwähler. Eine Lösung könnte sein, die Zahl der noch nicht angemeldeten Wähler gesondert in den Wahlanalysen anzugeben, gegebenenfalls nach Al­tersgruppen sortiert. Nicht zu vergessen ist dabei natür­lich, dass – in absoluten Zahlen gesehen – die Wahlbetei­ligung durch das Kinderwahlrecht steigen würde.

Kurz gesagt vermeidet das hier vorgeschlagene An­tragswesen Bürokratie, was dazu führt, dass die Wahlbe­teiligung differenzierter betrachtet werden muss. Kei­nesfalls lässt sich eine Gefährdung der Demokratie oder des rechtmäßigen Ablaufs der Wahlen daraus ableiten.

Beeinflussung, Erpressung, Wahlgeheimnis und Briefwahl

Ein häufig gegen das Kinderwahlrecht geäußerter Ein­wand lautet: Kinder können manipuliert und beeinflusst werden. Hinter dem Verdacht der Manipulierbarkeit verbirgt sich die Befürchtung, mit der Beteiligung der Kinder werde die vom Grundgesetz gesicherte Freiheit der Wahl eingeschränkt und werden so verfälschte Wahlergebnisse ermöglicht. Um zu verstehen, was Frei­heit der Wahl beinhaltet, sei ein Zitat des Juristen Wolf­gang Schreiber aus dem Kommentar des Bundeswahlge­setzes wiedergegeben. »Freiheit der Wahl besagt in erster Linie, dass jeder Wahlberechtigte sein aktives Wahlrecht ohne (physischen) Zwang oder (psychologischen) Druck oder sonstige unzulässige direkte oder indirekte Einfluss­nahme auf die Entschließungsfreiheit von außen –durch die öffentliche Hand, durch politische Parteien oder an­dere Wahlvorschlagsträger [...] und ihre Wahlbewerber, durch sonstige Institutionen, gesellschaftliche Gruppie­rungen oder von privater Seite – ausüben können muss und dass insbesondere während des Wahlaktes keine Be­einflussung von außen, aber auch nach der Wahl keine wie auch immer geartete Kontrolle des Inhalts der einzel­nen Stimmabgabe erfolgen darf.

Darüber hinaus besagt Freiheit aber auch, dass der Wähler die seiner Überzeugung entsprechende Wahlent­scheidung in einem freien, offenen Prozess der Mei­nungsbildung vorbereiten und anschließend fällen kön­nen muss. Er muss mithin vor jeder Beeinflussung geschützt sein, die seine Entscheidungsfreiheit trotz be­stehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchti­gen in der Lage ist. [...] Der Grundsatz der Wahlfreiheit umfasst nicht nur das ›Wie‹ sondern auch das ›Ob‹ einer Wahl.«122

Rechtlich ist die Sache also klar, für Kinder muss daran nichts geändert werden. Aber wie muss man sich die Um­setzung dieser Bestimmungen in die Praxis vorstellen?

Wenn junge Menschen die Stimme im Wahllokal »ab­geben«, ist die Einhaltung des Wahlgeheimnisses kein Problem. Wenn Kinder wissen, dass sie in der Wahlkabi­ne allein sind und keiner kontrollieren kann, was sie wählen, geht die versuchte, nicht einvernehmliche, wo­möglich erpresserische Einflussnahme ins Leere. Die Freiheit der Wahl ist gesichert. (Zur einvernehmlichen, nicht erpresserischen Einflussnahme der Eltern komme ich im Abschnitt über die Eltern.) Für den anderen Fall, dass Kinder am Wahltag nicht in das Wahllokal kommen können oder wollen, gelten auch für sie die Regeln der Briefwahl, wie sie in Paragraf 36 des Wahlgesetzes festge­halten sind.

§ 36 Briefwahl

(1) Bei der Briefwahl hat der Wähler [...] b) in einem besonderen verschlossenen Umschlag seinen Stimmzettel so rechtzeitig zu übersenden, dass der Wahlbrief spätestens am Wahltage bis 18 Uhr eingeht. [...]

(2) Auf dem Wahlschein hat der Wähler oder die Hilfsperson gegenüber dem Kreiswahlleiter an Eides statt zu versichern, dass der Stimmzettel persönlich oder gemäß dem erklärten Willen des Wählers gekennzeichnet worden ist. Der Kreiswahlleiter ist zur Abnahme einer solchen Versicherung an Eides statt zuständig;

In Ergänzung dazu regelt die Bundeswahlordnung (BWO), dass der Wähler auch im Falle der Briefwahl ge­heim (»unbeobachtet«) ankreuzen muss. Hier sei wieder­um der entsprechende Paragraf im Wortlaut zitiert.

§ 66 Briefwahl

(1) Wer durch Briefwahl wählt, kennzeichnet persönlich den Stimmzettel, legt ihn in den amtlichen Wahl­umschlag und verschließt diesen, unterzeichnet die auf dem Wahlschein vorgedruckte Versicherung an Eides statt zur Briefwahl unter Angabe des Ortes und Tages, steckt den verschlossenen amtlichen Wahl­umschlag und den unterschriebenen Wahlschein in den amtlichen Wahlbriefumschlag, verschließt den Wahlbriefumschlag und übersendet den Wahl­brief durch die Post rechtzeitig an die [...] auf dem Wahlbriefumschlag angegebene Stelle. [...]

(3) Der Stimmzettel ist unbeobachtet zu kennzeichnen und in den Wahlumschlag zu legen [...]. Für die Stimmabgabe behinderter Wähler gilt § 57 ent­sprechend. Hat der Wähler den Stimmzettel durch eine Hilfsperson kennzeichnen lassen, so hat diese durch Unterschreiben der Versicherung an Eides statt zur Briefwahl zu bestätigen, dass sie den Stimmzettel gemäß dem erklärten Willen des Wählers gekennzeichnet hat. [...]

Bereits unter den gegenwärtigen Bedingungen machen viele Wahlberechtigte von der Möglichkeit Gebrauch, außerhalb des Wahllokals zu wählen. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 10. Oktober 1999 haben genau 316.403 Berliner per Briefwahl gewählt. Das sind 20 Prozent aller Wähler.123Bei Bundestagswahlen war der Anteil geringer, er lag meist bei ca. zehn Prozent.124

Fest steht, dass bei der jetzigen Regelung der Briefwahl ein gewisser Missbrauch nicht ausgeschlossen werden kann. Wenn man unterstellt, dass per Briefwahl wählen­de Kinder nicht selber wählen, weil dies die Eltern oder andere Personen gesetzwidrig und trotz des dazu not­wendigen, mit strafrechtlichen Konsequenzen bewehr­ten Meineids tun, sollten angesichts dieser relativ hohen Zahl von Briefwählern Gegenmaßnahmen ergriffen wer­den. Unter Umständen sollten, um das Risiko der ge­fälschten Kinderstimmen zu vermindern, die Briefwahl­bedingungen wieder erschwert werden. Bereits ohne das Kinderwahlrecht laufen Überlegungen in diese Rich­tung. »Die Briefwahl darf nicht dazu führen, dem Wahl­berechtigten aus Bequemlichkeitsgründen den Weg zum Wahllokal zu ersparen. Im Sinne der Sicherung der Wahl­freiheit und des Wahlgeheimnisses sowie zum Ausschluss von Manipulationen bei der Briefwahl sind die Verschär­fungen zu sehen, die durch die BWO [...] hinsichtlich der Aushändigung/Übersendung von Wahlscheinen und Briefwahlunterlagen getroffen worden sind. [...] Die Eröffnung der Möglichkeit, per Briefwahl bereits bei Ab­holung der Briefwahlunterlagen ›an Ort und Stelle‹ zu wählen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.«125

Bei erwachsenen hilfsbedürftigen Personen ist natur­gemäß die Geheimhaltung besonders gefährdet und da­mit steigert sich die Möglichkeit der illegalen Beeinflus­sung. Auch für diesen Fall hält die Bundeswahlordnung Bestimmungen bereit, die die Wahlfreiheit garantieren. Die vorhandenen Parallelen zwischen den eingeschränk­ten Fähigkeiten von jüngeren Kindern und Menschen mit Behinderungen machen es leicht, die in Paragraf 57 BWO vorhandenen Regeln zu übernehmen.

§ 57 Stimmabgabe behinderter Wähler

(1) Ein Wähler, der des Lesens unkundig126 oder durch körperliches Gebrechen behindert ist, den Stimmzettel zu kennzeichnen, in den Wahlum­schlag zu legen, diesen selbst in die Wahlurne zu legen oder dem Wahlvorsteher zu übergeben, bestimmt eine andere Person, deren Hilfe er sich bei der Stimmabgabe bedienen will, und gibt dies dem Wahl­vorstand bekannt. Hilfsperson kann ein vom Wähler bestimmtes Mitglied des Wahlvorstandes sein.

(2) Die Hilfeleistung hat sich auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers zu beschränken. Die Hilfs­person darf gemeinsam mit dem Wähler die Wahlzelle aufsuchen, soweit das zur Hilfeleistung erforderlich ist.

(3) Die Hilfsperson ist zur Geheimhaltung der Kenntnisse verpflichtet, die sie bei der Hilfeleistung von der Wahl eines anderen erlangt hat.

Um den streng verbotenen Missbrauch durch die Hilfs­person möglichst auszuschließen, könnte die Hilfsper­son in besonderer Weise auf ihre Pflichten hingewiesen werden. Fällt ein Verdacht des Missbrauchs auf die Hilfs­person, muss diese ausgewechselt werden. In dieser Fra­ge kann auf die Erfahrung gesetzt werden, die eine ver­nünftige Regelung nach und nach hervorbringen wird.

Ich gehe davon aus, dass die meisten Eltern oder andere Hilfspersonen ihre Macht nicht einsetzen werden, um das Kind mit unlauteren oder gesetzwidrigen Methoden von seiner eigenen Meinung abzubringen. Zwischen Kindern und Erwachsenen wird sich, sobald Kinder Wahlbürger sind, ein prinzipiell gleichberechtigtes Ver­hältnis entwickeln. Ich werde aber später noch einmal auf die Rolle der Eltern beim Kinderwahlrecht eingehen.

Für den Fall, dass die Erwachsenen wider Erwarten ihre Einflussmöglichkeiten missbrauchen, ist zusätzlich eine quantitative Abschätzung des Risikos für den Wahl­ausgang hilfreich. Ich nehme für eine Überschlagsrech­nung an, dass der Anteil von Kindern, die Hilfe benöti­gen, grob geschätzt 75 Prozent der Gruppe der Fünf- bis Achtjährigen betragen wird. Das sind in den vier Jahr­gängen etwa 3.000.000 Menschen, denn jeder Jahrgang umfasst etwa eine Million. Nimmt man an, dass insge­samt nur zehn Prozent dieser Untergruppe tatsächlich wählen gehen, bleiben bundesweit nur etwa 300.000 vom Missbrauch bedrohte Wähler übrig. Wenn von die­sen Kindern – absichtlich hoch geschätzt – jedes zehnte durch Einwirkung der Hilfsperson fremdbestimmt wird, sind das 30.000 falsche Stimmen von rund 40 Millionen bundesweit, unterstellt man bewusst eine niedrige Wahl­beteiligung von 50 Prozent. Das ergibt einen Fehler von 0,075 Prozent, also nicht einmal einem Zehntel Prozent. Diese Zahl bezieht sich nur auf den Fall der rücksichtslo­sen Machtausnutzung durch Erwachsene. Um diesen be­dauernswerten Effekt zu vermeiden, kann der Aus­schluss aller Unter-18-jährigen keinesfalls als angemes­sen bezeichnet werden. Zusätzlich muss bedacht werden, dass Machtmissbrauch in verschiedenen politischen La­gern betrieben wird, sich die Fehler im Wahlergebnis also kompensieren.

Außerdem riskieren erwachsene, ›falsche‹ Hilfsperso­nen, dass die Kinder ausplaudern, wie es abgelaufen ist, und nehmen deshalb die Gefahr einer Strafe in Kauf. Auf Wahlbehinderung, Wahlfälschung, Verletzung des Wahl­geheimnisses, Wählernötigung, Wählertäuschung und Wählerbestechung stehen bereits heute Strafen von bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug.127 In keinem Fall legiti­miert ein potenzieller Gesetzesverstoß die Vorenthaltung des politischen Grundrechts der Wahl. Der Wahlleitung kommt die Aufgabe zu, im (Vor-)Wahlkampf besser auf­zuklären und die Einhaltung der Regeln zu kontrollieren.

Die Wahldurchführung

Unter den Bedingungen des Kinderwahlrechts muss sich die Wahlleitung in ihren Mitteilungen an die Wähler an die Fähigkeiten der jungen Wähler anpassen. Verständli­chere Formulierungen und ausführlichere Erläuterungen des Wahlsystems stellen aber sicher kein großes Problem dar. Die Wahlleitung wäre auch nur für die technische Umsetzung zuständig. Kompliziertere Fragen, wie zum Beispiel die Bedeutung von Erst- und Zweitstimme, müssten sowieso bereits im Wahlkampf von den Medien oder den Kandidaten selbst erklärt werden. Die Verän­derungen im Bereich der Wahldurchführung würden für alle Wähler einen Vorteil bringen, getreu dem Motto »Was für Kinder gut ist, ist auch für Erwachsene gut«.

Einerseits sind die Wahlvorschriften in ihren Einzelhei­ten auch vielen jetzigen Wählern unbekannt, anderer­seits bedeutet das für den Ablauf der Wahl keine Schwie­rigkeit. Was man nicht weiß, wird bei Bedarf erklärt. So wird es auch bleiben, wenn Kindern etwas unverständ­lich ist.

Auch die Erhöhung der Anzahl der Stimmen um schät­zungsweise maximal 15 Prozent führt sicher nicht zu Problemen (zum Beispiel beim Auszählen). Schlimm­stenfalls müssen einige zusätzliche Stimmbezirke gebil­det werden. In den meisten Wahllokalen wird der zu er­wartende Mehraufwand bei der üblichen Wahlbeteili­gung aber zu verkraften sein. Erhöhtes Porto, Druck-kosten usw. sind kein Argument, da der Grundsatz der Allgemeinheit beim Wahlrecht schwerer wiegt als jede Briefmarke.128 Das neu einzuführende Verfahren der Registrierung erfordert einen gewissen Aufwand, der aber – da er von jedem Menschen nur einmal im Leben verursacht wird – ebenso wenig eine prinzipielle Hürde darstellt.129

Die ungleichmäßige regionale Verteilung der Kinder erfordert es eventuell, den Zuschnitt von Wahlkreisen zu ändern. Größere Änderungen sind jedoch nur einmal, anlässlich der Einführung des Kinderwahlrechts, zu er­warten.

Die Politiker und die Parteien

Die Parteiprogramme

Politiker und Parteien haben erheblichen Druck zu er­warten. Darin besteht zugleich die größte Chance für die Politik. Sie müssen die Inhalte ihrer Programme ändern und erweitern, denn Gleichberechtigung zwischen den Generationen, Nachhaltigkeit, Kriegsdienst, Drogenpo­litik, Medienpolitik, Telekommunikation und manches andere gehört auf den Prüfstand.

Mit den neuen Themen kommt auf die Parteien eine personelle Erneuerung zu.Viele gesellschaftliche Kräfte– zum Beispiel die bei Jugendlichen hoch angesehene130 Organisation Greenpeace – hätten eine Chance, Einfluss auf die Parteien zu gewinnen. Die Parteien könnten sich nicht leisten, das Wählerpotenzial von ca. zehn bis 13 Prozent außer Acht zu lassen. Sie würden auf die jungen Menschen zugehen und junge Kräfte mehr als bisher berücksichtigen müssen. Das Ressort Jugend spielt gegenwärtig – an den finanziellen Aufwendungen ge­messen – eine eher bescheidene Rolle131 und bekäme dann den ihm zustehenden Stellenwert. Eine ernst zu nehmende Wählerschicht würde motivierten Politikern den Rücken stärken. Sie könnten, jeder in seiner Partei, mit Unterstützung für das Jugendressort rechnen. Ähn­lich wie in der Umweltpolitik, die inzwischen in allen Parteien ernst genommen wird, begänne in der Kinder­frage in allen politischen Lagern die Suche nach den bes­ten Konzepten.

Die in Diskussionen immer wieder von Gegnern des Kinderwahlrechts befürchtete bzw. prognostizierte ›Gummibärchen-Taktik‹, also das Vorhaben, die Kinder mit billigen Geschenken abzuspeisen und abzulenken, zu täuschen oder auch zu korrumpieren, wird deshalb kaum funktionieren. Alle Parteien werden genau darauf achten, ob die politischen Gegner mit unseriösen Mitteln den Kindern das Blaue vom Himmel versprechen, und diesen Betrug gegebenenfalls aufdecken.

Unabhängig davon darf nicht vergessen werden, dass den Kandidaten nicht nur die jungen Wähler gegenüber stünden, sondern auch die Menschen, die sich für Kinder engagieren, und zwar nicht nur im Sinne von höherem Kindergeld und Steuerfreibetrag. Die Parteien riskierten also nicht nur die Kinderstimmen, sondern auch ihren Ruf und damit die Stimmen engagierter Erwachsener. Auch im kommunalen Bereich, in dem die Verantwortli­chen jährlich den Etat der Jugendhilfe kürzen, würden Kinder ihr Mitbestimmungsrecht gut nutzen können. Wenn sich die Parteien nicht rühren, werden die Kinder und ihre Freunde das »honorieren«.

Wahlkampf- und Politikstil

Jede Partei und jeder Politiker müssen sich im öffentli­chen Raum mit mehr Transparenz, Klarheit und Redlich­keit äußern, wenn sie nicht versagen wollen. Das wäre eine positive Folge des Kinderwahlrechts.

Die Parteien und Politiker müssen den Stil ihrer An­sprache an »den Wahlbürger« ändern. Viele unpräzise, schwammige Formulierungen laufen Gefahr, als hohl entlarvt zu werden. »Aber der Kaiser ist ja nackt«–es war ein Kind, das diese Wahrheit aussprach, während all die klugen Erwachsenen trotz der nackten Tatsachen an ihrem eigenen Verstand gezweifelt oder wider besseres Wissen untertänigst geschwiegen haben!

Alle Politiker und Parteien geraten unter Druck, genau­er als bisher zu erklären, was sie wann und warum wol­len. Selbst wenn viele Kinder z.B. die detaillierte Erläute­rung des Haushaltsplans, einzelne Probleme der Ost­erweiterung der Europäischen Union und andere kom­plexe Themen nicht verstehen werden, bleiben genügend nachvollziehbare und kontrollierbare Programmpunkte übrig. Auch Erwachsene kommen im Allgemeinen mit an Kinder gerichteten Erklärungen besser zurecht.

Die Gefahr der Vereinfachung

Das Kinderwahlrecht ist eine Vision von Träumern! So lautet der Schreckensschrei der Kritiker. Fasst man ihre Einwände zusammen, ergibt sich folgende Horrorvor­stellung:

Im Kampf um die Stimmen greifen Parteien zu allen Mitteln. Sie stellen infame Werbeagenturen an, die kin­derwirksam oberflächliche Sprüche klopfen. Da bei Kin­dern davon ausgegangen werden kann, dass sie kom­plexe Zusammenhänge nicht verstehen, wird gnadenlos vereinfacht. Holzschnittartig präsentieren sie ihr Pro­gramm und versprechen einzelne Maßnahmen, die Kin­dern zwar zum Teil tatsächlich einen Vorteil bringen, aber das Wesen ihrer übrigen Pläne nur verdecken. Womöglich werden für den Fall der Wahl des politischen Gegners zusätzlich Furcht und Schrecken verbreitet. Mit den auf diese Weise gewonnenen Stimmen wird dann – so geht die Unterstellung weiter – der Angriff geritten, ent­weder – in der Variante sozial(istisch)er Kritiker – auf den Sozialstaat und die Umwelt zu Gunsten der Wirt­schaftsbosse oder – in der Variante konservativer Kriti­ker – auf den liberalen Staat, seine freien Bürger und die Marktwirtschaft, die allein Gewähr für gesellschaftli­chen Aufschwung bieten.

Zunächst drücken diese Albträume der Kritiker des Kinderwahlrechts ein tiefes Misstrauen in die gegenwär­tige Politik aus. Politiker seien zu allem fähig, wird damit unterstellt. Sollte das stimmen, müssten – angesichts der jahrhundertelangen Geschichte von Politik, die nichts Besseres hervorgebracht hat – bedeutend gravierendere Maßnahmen als das Kinderwahlrecht eingeführt wer­den. Der Umbau des politischen Systems steht in diesem Buch aber nicht zur Debatte.

Zugleich wird unterstellt, dass Kinder dumm seien und diese Tricks nicht durchschauen könnten. Aber nicht nur das. Die Vorstellung suggeriert auch, Kinder seien auf einmal »an der Macht« und könnten und müssten fern­gesteuert werden, freilich ohne es selbst zu merken. Wie wenig berechtigt diese Ängste sind, habe ich bereits dar­gelegt, denn die Parteien hängen nicht nur von Kinder-stimmen ab, die kaum mehr als 13 Prozent betragen. Wenn alle Kinder in die Falle der besser lügenden Partei gehen sollten, werden sich die umsichtigeren Erwachse­nen in mindestens ebenso hohem Maß von dieser Partei abwenden. Eltern, Medien und andere Gruppen werden, weniger aus pädagogischen Gründen als aus ihren eige­nen politischen Interessen, die Lügen aufdecken und den Kindern die Hintergründe erklären.

Unabhängig von der beschriebenen Horrorvision wird befürchtet, dass Jugendliche nicht verantwortungsvoll handeln würden und in politischen Wahlen und Abstim­mungen zu Extrempositionen neigen und rechts- oder linksextremen gesellschaftlichen Tendenzen Vorschub leisten könnten. Dieser Behauptung stehen Studien zur politischen Sozialisation im Jugendalter entgegen, die als Ursache für Extrempositionen den Ausschluss der Ju­gendlichen von politischen Entscheidungen aufdecken. »Demoralisierung, Depression und Deprivation sind die Konsequenzen, wenn ein Mensch das Gefühl hat, die eigenen Bedingungen und die Lebensgestaltung nicht beeinflussen zu können, also gerade, wenn ihm die Parti­zipation in wichtigen Lebensfragen vorenthalten wird oder sie ihm vorenthalten zu sein scheint.«132

Chancen

Natürlich wäre der Ausgang der Wahlen nach Einfüh­rung des Kinderwahlrechts weniger berechenbar, Kriti­ker sollten aber bedenken: Wahlen wären sinnlos, wenn bestimmte Gruppen das Wahlrecht so regeln, dass ihr Wunschwahlergebnis die Folge wäre. Wenn Erwachsene Kinder ausschließen, damit diese nicht CDU, SPD, PDS, NPD, DKP oder was auch immer wählen, wäre das zu­tiefst undemokratisch und damit verfassungswidrig.

Außerdem gestehen sich die Zweifler ungewollt ein, dass sie selbst den Lügen der Gegner keine programmati­sche Substanz, die Kindern vermittelbar wäre, entgegen­setzen können. Entweder halten sie sich selbst nicht für immun gegen die üblen Methoden, oder sie trauen sich integere, konstruktive Beiträge nicht zu. Dieses Selbst-bild kann eine Partei nicht ernsthaft von sich haben. Nach logischen Gesichtspunkten müssten alle Parteien die Idee vom Kinderwahlrecht befürworten, da sie die Chance bietet, unterentwickelte wichtige Politikfelder voranzubringen – und zwar besser als politische Gegner.

Die Eltern, Lehrer usw.

Der Dialog

»Kindheitsbezogene Maßnahmen, auch wenn sie vor­dergründig auf Kinder abzielen, beruhen meistens auf adultistisch verzerrten Vorstellungen vom Kindeswohl: Kinder werden von Erwachsenen im Allgemeinen als un­reif eingestuft. Daraus wird abgeleitet, dass Kinder nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu erkennen und zu ver­treten, und daher das Kindeswohl von den Erwachsenen (Eltern, Lehrern, Sozialarbeitern, Richtern, Experten usw.) bestimmt werden muss. Diese Auffassung deckt sich allerdings nicht mit den Erkenntnissen der moder­nen Pädagogik und Psychologie, wonach in der her­kömmlichen Auseinandersetzung von Erwachsenen mit Kindern Reife und Kompetenz von Kindern generell un­terschätzt werden.«133

Eltern und andere Erwachsene werden unter den Bedin­gungen des Kinderwahlrechts anfangs oft nicht wissen, wie sie Kindern die Fragen zu politischen Verhältnissen und den Kandidaten im Wahlkampf beantworten sollen. Sie werden dennoch gezwungen sein, sich diesen Fragen zu stellen. Dabei müssen sie damit rechnen, dass ihre Meinungen von den Kindern mit anderen Informations-quellen verglichen werden, so dass sie die Aufdeckung ihrer Wissenslücken riskieren. Das mag manchmal als peinlich empfunden werden, ist jedoch nicht schlimm; ich halte es sogar für einen Vorteil, dass Kinder mit der Fehlbarkeit ihrer Eltern konfrontiert würden, was zu mehr Realitätssinn beiträgt und die Gleichberechtigung fördert.

Die von vielen gesellschaftlichen Kräften zu erwarten­de Aufklärungskampagne134 über das neue Wahlsystem wird manchen Eltern die Last auferlegen, sich mit den neuen Regeln und mehr als bisher mit der Alltagspolitik auseinander zu setzen. Nach einigen Jahren, spätestens nach einer Generation, wird sich jedoch eine gewisse Selbstverständlichkeit im Umgang damit einstellen.

Den Eltern und Pädagogen stellt sich das Problem der Aufklärung in unterschiedlicher Weise, abhängig vom Vorwissen und vom Interesse der Kinder und Jugendli­chen. Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger wird es sein, die konkreten Politikinhalte zu vermitteln. Ohne weiteres kann Kindern erklärt werden, dass sie sich nicht genötigt zu fühlen brauchen, zur Wahl zu gehen. Sie kön­nen ihre erste Wahl, an der sie bereits allgemeines Inter­esse entwickeln, getrost verstreichen lassen, wenn sie sich zum Beispiel überfordert fühlen.

Zwischen Eltern und Kindern werden Gespräche so­wohl über Demokratie, Sinn und Zweck der Wahlen als auch über die Parteien und ihre Politikangebote entste­hen. Sie werden über die Verantwortung sprechen, die man mit der Wahlentscheidung übernimmt. Einfluss­größen der repräsentativen Demokratie müssen geklärt werden, zum Beispiel welchen Charme und Witz ein Po­litiker bei aller fachlichen Kompetenz haben sollte. Das Charisma eines Politikers spielt manchmal – und nicht zu Unrecht – eine ausschlaggebende Rolle, wie das Bei­spiel von Oskar Lafontaine zeigt, der 1995 wegen einer emotionalen Rede überraschend zum Parteivorsitzen­den gewählt wurde.

Die Kommunikation über die Wahlen dient der politi­schen Bildung und vielleicht sogar dem Familienklima. Selbst in Familien, in denen keine aufgeschlossene At­mosphäre herrscht und Kinder »streng erzogen« und nicht ernst genommen werden, kann mit einem Selbstbe­wusstseinsschub der Kinder gerechnet werden, da sie in anderen Kreisen durch ihre Freunde und durch die Me­dien darin bestärkt werden, dass auch sie wichtig sind und ihre Meinung zählt.

In Schule, Jugendclub und anderen öffentlichen Ein­richtungen werden sich die professionellen Partner von Kindern von Amts wegen Gedanken machen müssen, wie sie Wahlen und Wahlkampf erklären. Auch diese Er­wachsenen müssen dabei den Kindern klar machen, dass zum Wahlrecht die Freiheit gehört, nicht zu wählen, sich noch nicht in den »Sumpf der Politik« ziehen zu lassen.

Für Schulen und ähnliche öffentliche Gebäude gelten dann für das Plakatieren und andere Werbung bestimmte Wahlkampfregeln, die die Chancengleichheit aller Kan­didaten sichern und die Belästigung derjenigen ausschlie­ßen, die nicht wählen wollen.

Beeinflussung, die Kinder achtet

Der Begriff ›Beeinflussung‹ klingt – wenn es um die Wahl­stimme geht – fast wie ein Verbrechen. Einerseits ist sie das auch, wenn sie nämlich – wie dargelegt – gegen das Prinzip der Freiheit der Wahl verstößt. Auf der anderen Seite ist der ganze Wahlkampf aber nichts anderes als der systematische Versuch, die Wähler zu beeinflussen. Dies ist nicht nur erlaubt, sondern der Zweck des Wahlkamp­fes. Ohne Beeinflussung würde sich nur wenig ändern.

Auch im Familien- und Freundeskreis findet ständig Beeinflussung statt. Sie geschieht vielfach selbstbe­stimmt, indem man andere fragt und sich beraten lässt. Die eigene Meinung ist meist nichts anderes als die Mi­schung aus anderen Meinungen, die zuvor ebenso ent­standen sind. Auch Kinder werden in angstfreier Umge­bung selbst um Rat fragen. Darauf begründet zu ant­worten, stellt dann die eigentliche Herausforderung für die Erwachsenen dar.

Kritiker befürchten, dass viele Kinder auch ohne Mani­pulation wählen werden, was ihre Eltern wählen, da sie von diesen abhängen. Sie werden einfach nur machen, was die Eltern empfehlen oder gar befehlen. Diese An­nahmen scheinen mir erstens nicht plausibel, denn die Kinder reden nicht nur mit den Eltern, sie entwickeln – gerade auch im Falle von Bevormundung – eine andere Meinung. Zweitens sind diese Annahmen nicht bedenk­lich, denn selbst wenn alle Kinder dasselbe wählen wür­den wie ihre Eltern, träte kein Schaden für unsere Demo­kratie und unseren Staat ein. Von Eltern favorisierte Parteien erhielten eben jeweils mehr Stimmen als bisher. Das Kinderwahlrecht wird zudem auch den umgekehr­ten Effekt haben. Eltern und andere Erwachsene werden von den Kindern und Jugendlichen und deren Überzeu­gungen beeinflusst werden.

Die Massenmedien

Massenmedien müssen im Wahlkampf zweierlei leisten. Sie müssen einerseits Politikinhalte vermitteln und ande­rerseits erklären, welche Regeln beim Wählen gelten. Die Interessen von Kindern und Jugendlichen werden dann nicht nur in speziellen Veröffentlichungen Berück­sichtigung finden, sondern auch in allen allgemein politi­schen Sendungen und Printmedien. Das bezieht sich so­wohl auf den Stil der Darlegung als auch auf die Themen. Moderatoren werden in politischen Talkshows ihre Gäs­te auf Klarheit und eine einfache, aber nicht vereinfa­chende Sprache verpflichten. Sie werden jugendbezoge­ne Analysen der politischen Rechenschaftsberichte und Programme produzieren und die Meinung der neuen Wählerschaft veröffentlichen. Umfragen – sowohl zur Wahl als solcher als auch zur sonstigen Wirklichkeit – werden deutlich machen, wo die Jugend Probleme sieht, und zur Beseitigung dieser Probleme beitragen. Auch Eltern werden über ihre Rechte und die der Kinder infor­miert (sowohl beim Wählen als auch im Allgemeinen). Schließlich erhalten Parteien und Öffentlichkeit Infor­mationen und Anregungen, die bisher in den Studierzim­mern der Kindheitsforscher eher ein Schattendasein führen. Das Internet und Schülerzeitungen bieten den »Betroffenen« Möglichkeiten, eigene Positionen zu pub­lizieren und darüber zu kommunizieren. Der entstehende öffentliche Raum wirkt also – im Sinne des Menschen­rechts auf freie Meinungsäußerung im Grundgesetz als Zensurverbot und Pressefreiheit verankert – auch als Schutzraum, der Kinder vor Desinformation zu bewah­ren hilft.

Im Rahmen meines Gedankenexperiments muss ich je­doch vor allem fragen, ob jemand beziehungsweise wer Nachteile durch die neuen Aufgaben der Medien riskiert. Auch unter den Verlagen und Sendern sind einige, die nicht am gesellschaftlichen Frieden oder Ausgleich, son­dern an der Durchsetzung eigener Vorteile interessiert sind.135 Nach Einführung des Kinderwahlrechts muss mit psychologischen Tricks und Lügen gerechnet wer­den, die Kinder in ihren Bann ziehen.

Die konkurrierenden Medien sowie die großen Partei­en und ihre Wähler werden versuchen, die Stimmungs­mache dieser Kräfte mit allen Mitteln bloßzustellen. Die­ser Strategie ist unter den Bedingungen des Erwach­senenwahlrechts der Erfolg nicht ganz abzusprechen. Beispielsweise erhielten bei der Bundestagswahl 1998 radikale Parteien nur wenige Prozent der Stimmen: Re­publikaner 1,8 Prozent, NPD 0,3 Prozent, ProDM 0,9 Prozent, DKP 0,1 Prozent. Das Grundgesetz setzt zudem Schranken für bestimmte, auch mediale Handlungen:

Artikel 9:

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

Gegen alle anderen Ansichten und ihre Verbreitung hilft – wie bisher – nur die inhaltliche Auseinanderset­zung. Oder wie der Philosoph Ulrich Beck schreibt: »Niemals kann ein Zuviel an politischer Freiheit tota­litäre Herrschaft begründen.«136

Der potenzielle Schaden, den die Medien anrichten könnten, lässt sich schließlich auch quantitativ abwä­gen. Einerseits werden demagogische Publikationen schwerlich dominierenden Einfluss gewinnen, dafür ist der Medienmarkt zu groß und zu voll. Andererseits ist wie in den vorigen Abschnitten davon auszugehen, dass nur ein relativ kleiner Prozentsatz der jugendlichen Wähler für Einseitigkeit empfänglich ist. Das Kinder­wahlrecht ist jedenfalls kaum deshalb abzulehnen, weil es einigen Massenmedien gelingen könnte, Kinder mit subtilen Methoden vorübergehend zu unüberlegten Wahlentscheidungen zu verleiten.

Die Kinder und Jugendlichen

Bereits an dieser Stelle lässt sich feststellen, dass der vor­gestellte Entwurf eines echten Kinderwahlrechts reali­sierbar ist. Das Kinderwahlrecht kollidiert kaum mit gegenwärtigen Wertvorstellungen. Schaut man auf die Konsequenzen des Kinderwahlrechts im Einzelnen und prüft die betroffenen Bereiche der Gesellschaft, überwie­gen die Vorteile. Die Risiken sind gering und werden durch die Nachteile kompensiert, die das jetzige Wahl­recht aufweist. Ein Plädoyer muss deshalb eindeutig zu Gunsten des Wahlrechts ohne Altersgrenze ausfallen. Bisher standen jedoch nur einerseits die Chancen und an­dererseits die Belastungen und Gefahren für das Gemein­wesen im Mittelpunkt der Erörterung. Abschließend soll es um die Frage nach dem Risiko gehen, das für Kinder und Jugendliche mit dem Wahlrecht verbunden ist.

Wie mehrfach betont, können auch Kinder und Ju­gendliche – so wie jeder Erwachsene – das Wahlgesche­hen im Prinzip ignorieren. Faktisch werden sie jedoch unvermeidlich mit den Wahlen konfrontiert. Die tech­nisch- praktische Abwicklung des Wahlakts inklusive seiner Vorbereitung sowie der Zeitaufwand, den das Wählen erfordert, scheinen keine ernsthafte Hürde für junge Wähler darzustellen. Selbst Kinder, die nicht lesen können, werden das Ankreuzen auf dem Wahlzettel137 meistern, sofern sie motiviert sind. Das wiederum kann vorausgesetzt werden, da nach dem vorliegenden Vor­schlag nur Wähler existieren, die zuvor ihr Interesse be­kundet haben.

Problematisch könnte nach Ansicht der Kritiker die psychische Belastung werden. Was geschieht mit einem Kind, das sich nicht entscheiden kann, ob es überhaupt zur Wahl gehen soll? Welche Spannungen wirken auf ein Kind ein, das nicht weiß, wen es wählen soll? Wie geht ein Kind mit dem Konflikt um, wenn es zu einer Ent­scheidung gedrängt wird? Wäre es nicht besser, man lie­ße jedes Kind unbeschwert, anstatt ihm Verantwortung für die Politik aufzubürden? Die Politik sei nicht nur ein schwieriges Gebiet, heißt es, das selbst Erwachsene nicht verstehen. Sie sei auch ein schmutziges Geschäft, in das Kinder noch früh genug hineingezogen werden.

Maßgebliche Kindheitsforscher teilen diese Ansicht offenbar nicht: »Moderne Kindheitspolitik erkennt Kin­der so, wie sie sind, an und nicht nur in ihrer Funktion als zukünftige Erwachsene. Schließlich steht sie grundsätz­lich zur Subjektivität von Kindheit in allen sie betreffen­den Entscheidungsprozessen, auf individueller wie ge­sellschaftlicher Ebene.«138 Jedoch räumt diese Position die Schwierigkeit, die oben gestellten Fragen zu beant­worten, nicht aus. Weder lässt sich das Maß der aktuel­len Bedrängnis angeben, noch ist es bisher gelungen, ei­nen Zusammenhang zwischen den Bedrängnissen wäh­rend der Kindheit und den (Spät-)Folgen im Leben eines Menschen eindeutig herzustellen. Diese diffizile psycho­logische Frage kann das vorliegende Buch nicht beant­worten. Trotz der Schwierigkeiten halte ich es aber für unangemessen, so zu tun, als ob das Kinderwahlrecht eine Zumutung wäre, die das Ende der »heilen Kinder­welt« bedeuten würde. Ohnehin besitzen Kinder längst hohe Selbstständigkeit in den Bereichen der Mediennut­zung, des Freizeit- und Konsumverhaltens und der Bil­dungs- und Berufswahl und sind vielfältigen Einflüssen ausgesetzt.139 Um das Problem einzugrenzen, lässt sich auch hier wieder mit Hilfe plausibler Überlegungen differenzieren. Die ganz kleinen Kinder nehmen die wahlrechtsbedingte persönliche Überforderung natur­gemäß gar nicht wahr. Ältere (ab zwölf Jahren), die schon gut lesen können, sind der Anforderung gewach­sen, indem sie sich entweder für das Nicht-mitmachen entscheiden oder indem sie sich aktiv orientieren und Er­kundigungen einholen.

Es bleiben vor allem die etwa Sechs- bis Zwölfjähri­gen140, denen eventuell Gefahr durch Überforderung droht. Erfahrungsgemäß ereignen sich während dieses Lebensabschnitts etwa drei bis sechs Wahlen. Ich gehe davon aus, dass man durch das Wahlgeschehen höch­stens einmal im Leben, nämlich nur bei der ersten Kon­frontation, ernsthaft irritiert wird. In dieser Phase müs­sen Erwachsene besonders aufmerksam und hilfsbereit sein. Ein öffentliches Unterstützungsprogramm könnte der Erwachsenenwelt bestimmte Hilfen anbieten und Pflichten auferlegen, wie sie in den Abschnitten zu den Aufgaben der Parteien, Eltern und Medien behandelt wurden. Aber selbst wenn der Effekt, Kindern mit der Wahlbeteiligungsmöglichkeit belastende Verantwortung aufzubürden, nicht völlig zu vernachlässigen ist, relati­viert sich sein Ausmaß bei der Abwägung mehrerer Aspekte. Einige Kinder können vielleicht schlechte, ihr Leben nachhaltig beeinflussende Erfahrungen machen. Die Alternative, deshalb alle Kinder von der Wahl aus­zuschließen, ist eine Garantie dafür, dass weit mehr Kin­der negative Erfahrungen machen bzw. ihnen Chancen für ihre Persönlichkeitsentwicklung genommen werden.

Folgt man dem berühmten Kinderrechtler John Holt, so gibt es zwei Hauptgründe dafür, das Kinderwahlrecht zu fordern. Beim ersten Hauptgrund handelt es sich um »eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn ich von Entschei­dungen, die jemand trifft, betroffen bin, dann sollte ich an diesen Entscheidungen beteiligt sein. Wenn jemand Macht über mich hat, dann muss auch ich eine gewisse Macht über ihn haben.«

Um aber die Frage zu beantworten, ob man Kindern das Wahlrecht aufbürden soll, muss man vor allem auf den zweiten Grund schauen. Und wer könnte es besser formulieren als John Holt: »Der andere Hauptgrund, warum Menschen ihre Regierung und damit ihr Leben kontrollieren können sollten, ist der, dass sie dadurch informierter und verantwortungsvoller werden können und vielleicht auch werden. Die Menschen lernen nicht immer aus Erfahrung, aber ohne Erfahrung lernen sie überhaupt nichts. Und auch Erfahrung alleine ist nicht genug: sie müssen nicht nur Erfahrung machen, sondern auch die Möglichkeit haben, diese Erfahrung zu beein­flussen. Wenn das, was sie gewählt und entschieden ha­ben, für sie einen Unterschied bedeutet, ihr Leben ver­ändert, so werden sie allen Grund haben, zu versuchen, beim nächsten Mal klüger zu wählen und zu entscheiden. Wenn aber ihre Meinung ohnehin nicht ins Gewicht fällt und nichts ändert – wozu sich dann überhaupt noch Gedanken machen und den Kopf zerbrechen? Es ist nicht nur die Macht, die Menschen korrumpiert, sondern auch Ohnmacht. Sie macht teilnahmslos, träge, zynisch, un­verantwortlich und vor allem stupide.«141

10. Welche Schritte führen zum Kinderwahlrecht?

Der Gerichtsweg

Verfassungsbeschwerde

Das aktive Wahlrecht ist ein politisches Grundrecht. Grundrechte sind nicht von Mehrheiten abhängig. Sie stehen dem einzelnen Bürger unmittelbar zu und sind einklagbar. Dieser Gedanke kam 1994 einigen Jugendli­chen der Berliner Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä.142 Aus ihren Reihen wählten sie zum Erheben der Klage ei­nen 13-jährigen und einen 16-jährigen Jugendlichen aus. Zuständig war das Bundesverfassungsgericht. Die Ver­fassungsbeschwerde wurde am 23. August 1995 einge­reicht.143 Die vorgetragenen Anträge lauteten:

I. »Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführer durch den auf Art. 38 Abs. 2, 1. Halbsatz beruhen­den Ausschluss vom aktiven Wahlrecht in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt gem. Art. 20 Abs. 2, Satz 1, Satz 2 1. Teilsatz und Art. 1 Abs. 1 GG verletzt werden.

II. Es wird festgestellt, dass Art. 38 Abs. 2, 1. Halb­satz GG wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 2, Satz 1, Satz 2 1.Teilsatz, Art. 1 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist.«

Die Verfassungsbeschwerde berief sich also auf den in Kapitel 4 dargelegten inneren Widerspruch in der Verfas­sung. Die Klage ist gescheitert, weil sie vom Bundesver­fassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Zur Begründung verwiesen die Obersten Richter »im Namen des Volkes«144 auf die nicht eingehaltene Jahresfrist des Paragrafen 93 des Bundesverfassungsge­richtsgesetzes.145

Die Kläger kritisierten das Urteil, weil der vom Gericht angeführte Präzedenzfall mit ihrem Fall nichts zu tun habe: Des weiteren vertrete das Gericht einen Stand­punkt, der eine juristische Änderung von Normen des Grundgesetzes durch Verfassungsbeschwerden von vornherein ausschließt. So könne hier die Frage aufge­worfen werden, ob das Gericht nicht durch die Verwei­gerung der Verhandlung gegen Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes verstoße (»Wird jemand durch die öf­fentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.«).146 Es ist aber müßig, das um­strittene Urteil zu analysieren, da es unanfechtbar ist.

Eintrag im Wählerverzeichnis

Um dem Einwand der Fristüberschreitung des Bundes­verfassungsgerichts zu begegnen, beantragten die Ju­gendlichen von K.R.Ä.T.Z.Ä. die Eintragung ins Wahl­verzeichnis beim zuständigen Wahlamt. Von vornherein rechneten sie mit einer Ablehnung, aber mit der Ableh­nung ihres Antrags hätten sie einen Bescheid erwirkt, der – so die Auffassung der Kinderrechtler – verfassungs­widrig sei, da er gegen die Staatsfundamentalnorm des Artikels 20 (2) verstoße.

Nach dem Erhalt des Ablehnungsbescheids klagten sie vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Die Klage wurde für unzulässig befunden und abgewiesen, weil das Ver­waltungsgericht nicht in die Durchführung der Bundes­tagswahl eingreifen dürfe. Ein »zu abstrahierendes Fest­stellungsinteresse«, auf dem die Kläger beharrten, denn es ging ja um die allgemeine Frage der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von der Wahl für Unter-18-jährige, wurde vom Gericht – formal juristisch – verneint. Damit war der Rechtsweg erneut abgeschnitten.

Wahlanfechtung

Wenn Kinder und Jugendliche nicht mitwählen durften, obwohl das ihr verfassungsmäßiges Grundrecht ist, dann ist der Bundestag nicht rechtmäßig gewählt worden – lautete die nächste Überlegung von K.R.Ä.T.Z.Ä.

Drei Jugendliche von K.R.Ä.T.Z.Ä., zum Zeitpunkt der Bundestagswahl im Alter von 13, 17 und 18 Jahren, beantragten beim Deutschen Bundestag, »die Bundes­tagswahl 1998 wegen verfassungswidriger Beschrän­kung des Kreises der aktiv Wahlberechtigten für ungültig zu erklären und die sich daraus ergebenden Folgerungen festzustellen«.147

Der Deutsche Bundestag wies den Einspruch »teilwei­se gemäß § 2 Abs. 2 WPrüfG als unzulässig und teilweise gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG als offensichtlich unbe­gründet zurück«. Unzulässig sei er im Fall der beiden jün­geren Einspruchsführer, da diese nicht wahlberechtigt seien. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, da es ja gerade darum ging, festzustellen, dass sie wahlberechtigt sind. Im Fall des zum Zeitpunkt der Wahl bereits 18­jährigen Einspruchsführers sei der Einspruch »offen­sichtlich unbegründet«, da die behauptete Verfassungs­widrigkeit üblicherweise148 der Kontrolle des Bundes­verfassungsgerichts vorbehalten bleibe. K.R.Ä.T.Z.Ä. zog erneut vor das Bundesverfassungsgericht.149 Das hat diese Wahlprüfungsbeschwerde am 2. November 2000 als »offensichtlich unbegründet« verworfen. Zur Be­gründung ihres Urteils150 führten die Richter an: »Be­grenzungen des allgemeinen Wahlrechts sind ›verfas­sungsrechtlich zulässig, sofern für sie ein zwingender Grund besteht‹.151 Es ist von jeher aus zwingenden Gründen als mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verträglich angesehen worden, dass die Ausübung des Wahlrechts an die Erreichung eines Mindestalters ge­knüpft wird.«

Rechtsanwalt Dr. Peter Merk, als Vertreter der Kläger, kommentierte den Ausgang des Verfahrens mit den Wor­ten: »Das Gericht hat in eklatanter Weise gegen seine Verantwortung, Hüter einer dynamischen Verfassung zu sein, verstoßen. Es entsteht der Eindruck, dass sich der 2. Senat des Gerichts, was das Wahlrecht betrifft, als Wärter einer musealen, längst nicht mehr zeitgemäßen Altersgrenze versteht und sich ohne Begründung über die Tatsache hinwegsetzt, dass auf diese Weise das politi­sche Grundrecht der aktiven Wahl einer gesamten Bevöl­kerungsgruppe ohne erforderlichen zwingenden Grund vorenthalten bleibt.«152 Für weitere rechtliche Schritte auf dem Weg zum Kinderwahlrecht stehen die Chancen damit schlecht.

Die öffentliche Debatte

In Deutschland

Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit könnte der Gesetzge­ber die Verfassung im Sinne des Kinderwahlrechts jeder­zeit von sich aus und ohne Urteil des Bundesverfassungs­gerichts ändern. Davon sind wir aber weit entfernt. Bisher ist das Kinderwahlrecht weder in der Bevölke­rung noch bei den Abgeordneten mehrheitsfähig. Des­halb muss die öffentliche Debatte geführt und unter­stützt werden, die Pro und Kontra aufgreift.

Der im vorigen Abschnitt dargestellte Streit vor den Gerichten soll nicht als taktische Maßnahme für die not­wendige öffentliche Auseinandersetzung herabgewür­digt werden. Aber zweifellos haben die juristischen Ver­fahren durch das Interesse, das die Medien daran entwickelt haben, katalytische Wirkung in der Öffent­lichkeit entfaltet.153

Darauf hat die Gruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. durch zahlreiche Presseinformationen, ihr Internetangebot, eine Liste prominenter Unterstützer und sonstige Aktionen hinge­wirkt. So wies sie auf einer Festveranstaltung im Roten Rathaus von Berlin dem Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes Walter Wilken nach, dass dessen Kritik am Kinderwahlrecht nicht haltbar ist.

Übertrüge man sie auf die Situation von Menschen mit Behinderungen, wäre ihr zutiefst behindertenfeindlicher Charakter offensichtlich, konnte der Vertreter von K.R.Ä.T.Z.Ä. dem Funktionär des Kinderschutzbundes vor versammeltem Publikum unwidersprochen entge­genhalten.

Ein konstruktiver Vorschlag, der kurzfristig umgesetzt werden könnte, kommt von K.R.Ä.T.Z.Ä.-Mitstreiter Martin Wilke. Da das Kommunalwahlrecht – wie in ei­nigen Bundesländern seit mehreren Jahren praktiziert – einfaches Landesrecht ist und keine Grundgesetzände­rung erfordert, könnte in einem Bundesland das Wahlal­ter auf Null gesetzt werden. Vielleicht lässt sich ein der­artiges, wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt zur Vermeidung von Panik zunächst, ähnlich wie ein Schulversuch, zeitlich beschränken.

Andere konstruktive Vorschläge werden nicht lange auf sich warten lassen.

Mit einer bundesweiten Unterschriftenkampagne un­ter dem Motto »Ich will wählen« wendet sich seit dem Frühjahr 2002 ein Zusammenschluss zahlreicher Orga­nisationen an alle Kinder und Jugendlichen in Deutsch­land. Am Ende der Aktion wird eine Petition beim Bun­destag eingereicht, in der Unter-18-jährige das Wahl­recht verlangen. Auch Erwachsene können sich der Peti­tion anschließen.154

Im Ausland

In den USA und Kanada arbeiten einige Gruppen an um­fassenden Konzepten, um für Kinder grundsätzliche ge­sellschaftliche Verbesserungen zu erreichen. »Americans for a Society Free from Age Restrictions« (ASFAR) for­dert, dass niemand auf Grund seines Alters in seiner Frei­heit eingeschränkt wird. Hinsichtlich des Wahlrechts vertritt die Gruppe die Abschaffung der Altersgrenze, formuliert jedoch auch die »Absenkung des Wahlalters« als Alternative (www.asfar.org). YouthSpeak ist eine Gruppe von jungen Menschen mit ähnlichen Forderun­gen (www.oblivion.net/youthspeak).

Die Association for Children's Suffrage schreibt: »We call for a simple universal criteria for voting: citizenship and sufficient interest to register and then vote on elec­tion day.«155 Die Forderung deckt sich mit dem Kon­zept, das von mir vertreten wird. Ähnlich grundsätzlich sieht es auch die Canadian Youth Rights Association (CYRA, www.cyra.org).

Sicherlich sind diese Organisationen allein nicht in der Lage, das Blatt zu wenden. Ihre Aktivitäten beweisen aber, dass ein gesellschaftlicher Diskurs begonnen hat, an dessen Ende das Wahlrecht für Kinder Wirklichkeit werden kann.

»Wer politische Freiheiten zu eng oder gar ausschließ­lich an den bereits existierenden Rechtsstaat bindet, ver­kennt nicht nur die politische Wirksamkeit der Freiheits­idee, die jederzeit ergriffen und eingeklagt werden kann. Er spricht auch allen Bürgerrechts- und Freiheitsbewe­gungen in Diktaturen aller Art jede wirkliche Macht ab, nimmt dem Widerstand, der immer und überall möglich ist, seine Würde.«156 Beruft man sich auf diese Freiheits­idee, sind viele Wege offen, um dem Ideal einer wirkli­chen Gleichberechtigung von Kindern und Erwachsenen näher zu kommen.

11. Bilanz

»Jeder Mensch, der wählen möchte, darf – unabhängig von seinem Alter – nicht daran gehindert werden.« Das ist die Forderung, die im Mittelpunkt dieses Buches steht. Natürlich ist sie kein Selbstzweck. Sie richtet sich gegen den Mangel an Gleichberechtigung, Demokratie und anderen Werten, die in den Reden der Pädagogen und Politiker immer so hoch gehalten werden. Gerade Kinder sind nach wie vor Objekte von Entscheidungen Erwachsener. Für die meisten gelten weder in der Schule noch zu Hause die demokratischen Prinzipien unserer Gesellschaft. Auf der Suche nach einem Ansatzpunkt, in diesen Fragen einen spürbaren Fortschritt zu erzielen, hörte ich vor vielen Jahren von der Idee, Kinder bei Wahlen höchstpersönlich mitbestimmen zu lassen. Wer die Abschaffung der Altersgrenze beim Wahlrecht for­dert, ist mit einer großen Zahl unterschiedlichster Fra­gen konfrontiert. Sind Kinder nicht politisch zu unreif? Werden sie nicht durch die Eltern manipuliert? Ist das rechtlich überhaupt möglich? Führt das nicht zu einer Überforderung? Verbessern sich die Chancen der radi­kalen Parteien? Viele Menschen befürchten gar die Ge­fährdung der Demokratie.

Das Buch hat versucht, alle Argumente zusammenzu­tragen, die für eine entsprechende Änderung des Wahl­rechts von Bedeutung sind. Dabei sind die zahlreichen Einwände sehr ernst genommen worden. Die mit dem Kinderwahlrecht möglicherweise verbundenen Risiken müssen umfassend theoretisch geklärt werden, bevor man dazu übergehen kann, es in der Praxis zu erproben.

Lässt sich die Forderung nach einem Wahlrecht für Kinder nach Beantwortung all dieser Fragen aufrecht er­halten? Welche wesentlichen Erkenntnisse haben die Auseinandersetzung mit den Chancen und die Abschät­zung der Risiken erbracht?

Die Durchsetzung eines wirklichen Kinderwahlrechts ohne Stellvertretung und ohne partielle Wahlaltersen­kung ist im Rahmen unseres Grundgesetzes rechtlich möglich.

Menschenrechtliche Überlegungen ergeben, dass es demokratischen Prinzipien widerspricht, Kindern das Wahlrecht mit dem Hinweis auf die fehlende Qualifika­tion vorzuenthalten. Die verbreitete, aber falsche Über­zeugung, dass auch an Grundrechte Pflichten geknüpft sind, wird beim Wahlrecht durch die unsinnige Sprach­regelung von der »Ausübung des Wahlrechts« verstärkt. Wählen ist zwar eine Tätigkeit, das Wahlrecht aber nicht. Es kann nicht »ausgeübt« werden, sondern ist ein Grund- und Menschenrecht, dass jedem allein durch sein Menschsein zusteht.

Das Stellvertreterwahlrecht und die partielle Senkung des Wahlalters – die üblichen Forderungen – erscheinen bei genauem Betrachten als kontraproduktiv und unaus­gewogen.

Das in diesem Buch entwickelte Szenario einer Gesell­schaft ohne Wahl-Altersgrenze ergibt hingegen kaum das Gemeinwohl bedrohende Probleme. Weder Gesetz­geber noch Wahldurchführung, weder Parteien und Poli­tiker noch Massenmedien, weder Eltern und sonstige Be­zugspersonen von Kindern und Jugendlichen noch diese selbst werden durch die Streichung der Altersgrenze vor unlösbare Probleme gestellt.

In der Öffentlichkeit hat ein Diskussionsprozess über die Abschaffung der Altersgrenze begonnen, unterstützt von Initiativen mehrerer Jugend- und anderer Organisa­tionen, der nicht mehr zurückzuschrauben ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Gleichberechtigung von Kin­dern und Erwachsenen der Schlüssel zu einer friedlichen und glücklichen Welt ist. Mit allen Mitteln müssen wir versuchen, das historisch zu Lasten der Kinder entstan­dene Machtgefälle zu beseitigen. Dazu kann die Ver­wirklichung des Kinderwahlrechts viel beitragen.

12. Anhang

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Liste häufig gestellter Fragen

Die Kritik am Kinderwahlrecht wird in vielen Fällen di­rekt und bestimmt geäußert. Sie lässt sich aber auch als Frage formulieren. Die Tabelle vermittelt einen Überblick über die am häufigsten vorgebrachten Bedenken.

Antworten:
Sind Kinder nicht viel zu unreif zum Wählen?1, 2
Sind Kinder nicht viel zu leicht zu beeinflussen?1, 2
Werden radikale Parteien vom Kinderwahl­recht profitieren?1
Kennen sich Jugendliche gut genug mit Politik aus, um zu wissen, was sie wählen?1
Kinder haben auch weniger Pflichten als Erwachsene, wieso sollten sie dann mehr Rechte bekommen?1, 2
Verstehen Kinder überhaupt die Bedeutung ihrer Entscheidungen?1, 2
Überfordert das Wahlrecht Kinder und bürdet es ihnen zu viel Verantwortung auf?1, 2
Wollen Kinder überhaupt wählen?1
Können Kinder dann auch gewählt werden?1
Sollen dann auch Säuglinge an die Urne gehen?Nein.
Besteht die Gefahr, dass Eltern ihre Kinder zwingen, eine bestimmte Partei zu wählen?1
Ab wann soll man wählen dürfen?1
Sind Kinderparlamente nicht bessere Beteiligungsformen?1
Reicht die Senkung des Wahlalters auf 16?1
Sollen Eltern stellvertretend für Kinder wählen?1
Was soll sich durch das Kinderwahlrecht verbessern?1
Wahlen ändern doch sowieso nichts!1

1 Im Artikel 21 der UNO-Menschenrechtserklärung steht: Jeder Mensch hat das Recht, an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen.
2 Eine Liste der häufig gestellten Fragen befindet sich am Ende des Buches.
3 Hengst 1995
4 Schreiber 1999
5 Die Tageszeitung, 9.5.2001, S. 24
6 Berliner Zeitung, 30.10.1999
7 Der Tagesspiegel, 13.12.1999, S.2
8 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Materialien zur Familienpolitik 8, 21./22.3.2000
9 Die Zeit, 20.4.2000
10 Information des Christlichen Jugenddorfwerkes CJD, Oktober 1999
11 Bundesverband Alphabetisierung e.V., Goebenstraße 13, 48151 Münster
12 AP-Meldung, 8.9.1999
13 Kramer/Werner 1998, S. 42
14 Spiegel-Online, 13.12.2001
15 Information des Statistischen Landesamtes Berlin; die Werte schwanken zwischen 17,1% und 12,4%.
16 Es sei denn, sie tun es aus Notwehr. Auf das Notwehrprinzip können sich Eltern, die erzieherische Ziele verfolgen, jedoch nicht berufen.
17 Alice Miller im Interview, in: Der Tagesspiegel, 13.12.1999, S. 2
18 Ausführlich dargestellt sind Fragen der radikalen Erziehungskritik, Fragen des beklagenswerten Generationenverhältnisses und entsprechende Alternati­ven in einschlägigen Veröffentlichungen: Deutsche Kinderrechtsbewegung 1984; von Braunmühl 1986, 1990, 1997; Hinte 1990; Heimrath 1991; Weimann 1992; Weingartz 1992; Stern 1995; Böhm/von Braunmühl 1994
19 von Braunmühl 1990, S. 191
20 Fischer-Kowalski/Pelikan/Schandl 1995, Gribble 2000
21 Honig/Leu/Nissen 1996, S. 12f.
22 Information aus dem Internetangebot: www.srzg.de/html/kurzinfos.html
23 Siehe zum Beispiel Merk 1997 mit weiterführender Literatur.
24 Peschel-Gutzeit 1999, S. 558
25 ebd., S. 557
26 Hattenhauer 1997, S.239, Löw 1993
27 Palentien/Hurrelmann 1997, S. 5
28 Schreiber 1998, S. 32
29 Den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Zuwanderung lasse ich für unsere Erörterung außer Acht.
30 Herzog 1991
31 Jarass/Pierot, Kommentar zum GG, Art. 38, Rdn. 5; zit. nach Merk 1997, S. 265
32 Zit. nach Merk 1997, S. 265
33 Schreiber 1998, S. 238
34 ebd., S. 233
35 Maunz-Dürig, Kommentar zum GG; zit. nach Merk 1997.
36 Merk 1997, S. 268
37 Hattenhauer 1997
38 Peschel-Gutzeit 1999
39 Löw 1974, S. 29
40 Schreiber 1998, S. 40
41 Steffani 1999a, S. 789
42 Freilich nur die erwachsenen männlichen Freien.
43 Declaration des Droits de l'Homme et du Citoyen (1789), die später zur Präambel der französischen Verfassung wurde.
44 »We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.«
45 K.R.Ä.T.Z.Ä. 1998, S. 6
46 Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
47 Von Braunmühl 1998 auf dem Gründungskongress der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. – So weit nicht anders ausgewiesen, beziehe ich mich im Folgenden auf diese Quelle.
48 von Braunmühl 1998
49 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, S. 86
50 Clingius 1687, zit. nach Hattenhauer 1997, S. 241
51 Hattenhauer 1997, S. 242
52 Hattenhauer 1997, S. 243
53 Die historische Entwicklung speziell der Altersgrenzen beim Wahlrecht hat Groß-Bölting 1993 ausführlich dargestellt.
54 Hattenhauer 1997, S. 243f.
55 Die nachfolgenden Darlegungen folgen stark gekürzt der Diplomarbeit der Politologin Franziska Törring 1997.
56 Törring 1997, S. 7f.
57 ebd., S. 9
58 Eine weitere Ausnahme sind so genannte Ausländer und Menschen, die per Gerichtsbeschluss – also nach tatsächlicher individueller Prüfung – dasWahl­recht abgesprochen bekommen haben.
59 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 1995, S. 4
60 ebd., S. 3
61 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 1995, S. 9
62 siehe Fußnote 60
63 In den USA sind auch Abstimmautomaten in Gebrauch; in Deutschland sieht das Bundeswahlgesetz ebenfalls »Wahlgeräte« vor (§ 35 Stimmabgabe mit Wahlgeräten). Diese sind aber praktisch kaum in Gebrauch, da ihrer Ver­wendung hohe Anschaffungs-, Lager-, Transport- und Wartungskosten entge­genstehen (Schreiber 1998, S. 475).
64 von Braunmühl, in: www.kraetzae.de/2wekki.htm, gekürzt
65 Törring 1997, S. 14
66 Schreiber 1998, S. 102f.
67 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass diese Grenze erst seit 1972 bei 18 Jahren liegt und in anderen Ländern der EU teilweise andere Werte gel­ten, zum Beispiel die Vollendung des 21. oder 25. Lebensjahres.
68 vgl. Roellecke 1996
69 Holt 1978
70 von Braunmühl 1992
71 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998a, S. 174
72 zit. nach Merk 1995
73 Steffani 1999a, S. 791
74 vgl. Frädrich, Jerger-Bachmann 1995; Palentien, Hurrelmann 1997; Fro­werk, Sombetzki, Stiftung Mitarbeit 1999; Bruner, Winklhofer, Zinser 2001
75 siehe auch: Sonderheft zur Kritik der parlamentarischen Demokratie in: Graswurzelrevolution 1994
76 Hattenhauer 1997; Löw 1998; Peschel-Gutzeit 1997, 1999, 1999a; Steffani 1999
77 Pressemitteilung »Allgemeines Wahlrecht e.V.«, München, 9.4.1997
78 Pechstein 1991; Schreiber 1998, 1999; Zivier 1999, Wassermann 1999
79 Kinderkommission des Deutschen Bundestages 1996, S. 39
80 Wahlrechtsregelung, bei der einem Teil der Wähler eine mehrfache Stimme zusteht.
81 Schreiber 1998, S. 240
82 Zur Ablehnung vgl. Pechstein 1991, Post 1996
83 Löw 1998
84 Peschel-Gutzeit 1999, S. 561
85 Hattenhauer 1997, S. 255
86 Löw 1998
87 Es ist zu ergänzen: und kurzfristigen.
88 Offe 1994, S. 5
89 Löw 1998
90 Schreiber 1998, S. 240; in seiner jüngsten Arbeit führt er diesen Gedanken noch weiter aus (Schreiber 1999).
91 ebd., S. 466f.
92 von Münch 1995
93 Peschel-Gutzeit 1999, S. 562
94 Hattenhauer 1997, S. 256
95 Hattenhauer 1997, S. 255
96 ebd., S. 254
97 Steffani 1999a, S. 792
98 Peschel-Gutzeit 1999, S. 562
99 Hattenhauer kennt den Vorschlag spätestens seit seiner Teilnahme an der Anhörung der Kinderkommission 1996 in Bonn (Deutscher Bundestag 1996), Peschel-Gutzeit kennt ihn aus persönlichen Kontakten mit der Kinderrechts­gruppe K.R.Ä.T.Z.Ä.
100 vgl. Offe 1994; Zivier 1999
101 Hurrelmann 1997
102 zum Beispiel Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über Änderung des Gesetzes über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksver­ordnetenversammlungen (Landeswahlgesetz), Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 15/297 (vom 12. 3. 2002) –Parteiprogramm der PDS zur Bundes­tagswahl 1998, Gesetzentwurf der PDS-Fraktion im Bundestag vom 9. 6. 1999 – Die SPD hat bereits in einigen Bundesländern das Wahlalter zu Kommunalwahlen auf 16 Jahre gesenkt.
103 zum Beispiel Knödler 1996
104 Schreiber 1998, S. 239
105 Hurrelmann 1997, S. 287
106 Siehe auch die Diplomarbeit von Bücheler, 1998.
107 Roellecke 1996
108 In einem Brief an die Katholische Junge Gemeinde Würzburg, 4.8.1997
109 Ziolko (CDU) im Abgeordnetenhaus von Berlin, 10.4.1997, Plenarproto­koll 13/26
110 Bei etwa 700.000 bis 800.000 Jugendlichen pro Jahrgang und 74 Mio. Wahlberechtigten über 18 Jahren.
111 von Braunmühl 1998; Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä.; von Schoene­beck 1990 (zu von Schoenebeck allerdings die wesentliche Kritik in von Braunmühl 1997)
112 siehe S. 145
113 Weitere Bedingungen, die nicht zum vorliegenden Thema gehören, wie etwa die Zugehörigkeit zum Staatsvolk sind von dieser verkürzten Formulie­rung natürlich nicht berührt.
114 Erster Halbsatz; im zweiten Halbsatz wird das passive Wahlalter geregelt, hierzu Kapitel 7.
115 Information des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 1997.
116 Die Einwohnerzahl liegt bei 82Mio., aber nur Deutsche sind wahlberechtigt.
117 Dürig 1998, S. XVIf.
118 Dürig 1998, S. XX, Hervorhebung im Original
119 Meines Erachtens könnte auch die Bedingung, Deutscher zu sein, wegfal­len. Es reicht aus, seinen Lebensmittelpunkt hier zu haben, also von politischen Entscheidungen betroffen zu sein (vgl. Schreiber 1999).
120 Jäger/Welz 1998, S.249
121 In den USA zählen alle Über-18-jährigen als wahlberechtigt, unabhängig davon, ob sie sich haben registrieren lassen.
122 Schreiber 1998, S. 88
123 Information des Landesamtes für Statistik Berlin
124 Schreiber 1998, S. 480
125 Schreiber 1998, S.486
126 Auch »des Lesens unkundige« Menschen behandelt das Gesetz als wahl­berechtigt, obwohl auch in deren Fall mangelhafte politische Urteilsfähigkeit vermutet werden kann.
127 Strafgesetzbuch §§ 107 und 108.
128 Die Auswirkungen der Möglichkeiten des Internets bei der Wahldurch­führung bleiben hier unberücksichtigt; siehe dazu Schreiber, 1999, S. 355.
129 Wenn alle zwei Jahre eine Wahl stattfindet, betrifft das bei einer jährlichen Geburtenrate von 0,6% bis 1% (Statistisches Bundesamt) pro Wahl durch­schnittlich nur max. 2% der Wähler.
130 Shell 12. Jugendstudie 1997
131 11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung 2002, S. 73.
132 Palentien 1997, S. 296
133 Wilk/Wintersberger 1996, S. 34f.
134 Vorstellbar ähnlich der Kampagne anlässlich der Einführung der Pflege­versicherung, die ebenfalls relativ breite Kreise der Bevölkerung betroffen hat, die zudem naturgemäß durchschnittlich überproportional viele Schwierigkei­ten mit Veränderungen haben.
135 Man muss sich im Klaren darüber sein, dass die Medien finanziell von Wer­bung abhängen – ein bereits heute bestehendes Problem. Die Wirtschaft kann so die politische Ausrichtung der Verlage oder Sender beeinflussen. Gegen diesen Effekt anzukämpfen ist eine ständige Aufgabe von politischem Journalismus.
136 Beck 1999
137 Siehe auch der Hinweis auf Wahlgeräte, die auch in Deutschland prinzi­piell erlaubt sind und in den USA denjenigen Menschen helfen, die wegen ihrer Leseschwierigkeiten früher mit Hilfe von inzwischen verbotenen Lesefähigkeits­tests (literacy tests) vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. (Jäger/Welz 1998, S. 248). Zudem gibt es die Möglichkeit, Hilfspersonen hinzuzuziehen.
138 Wilk/Wintersberger 1996, S. 37
139 vergl. Hengst 1996
140 Auf die Kindheits- und Jugendforschung käme es zu, derartige Schätzun­gen zu untermauern.
141 Holt 1978, S. 119
142 KinderRÄchTsZÄnker
143 Merk 1995
144 Obgleich eine juristische Floskel, wurde diese Formulierung von den Kinderrechtlern als Witz aufgefasst, da Kinder und Jugendliche auch zum Volk gehören und das Gericht deren Legitimation nicht besitzt.
145 § 93(3) (BVerfGG) lautet sinngemäß: Richtet sich die Verfassungsbe­schwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offen steht, kann sie nur binnen eines Jahres erhoben werden. – K.R.Ä.T.Z.Ä. dokumentiert alle wichtigen Texte im Internet: www.kraetzae.de
146 Pressemitteilung von K.R.Ä.T.Z.Ä. vom 29.1.1996
147 Einspruchsschrift von RA Peter Merk v. 17.11.1998
148 »Seit der 1. Wahlperiode ständige Praxis des Deutschen Bundestages«, Bundestagsdrucksache 14/1560, S. 1.
149 Wahlprüfungsbeschwerde gem. § 48 BverfGG vom 18.11.1999
150 Aktenzeichen 2 BvC 2/99
151 BVerfGE 28, 220, <225>; 36, 139 <141>
152 www.kraetzae.de/3wkurt.htm
153 Als Höhepunkt kann sowohl die Pressekonferenz von K.R.Ä.T.Z.Ä. an­lässlich der Einreichung der Verfassungsbeschwerde 1995 gelten, zu der sieben Fernsehstationen und über 60 Journalisten erschienen waren, als auch ein 45­Minuten Film im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (»Menschen hautnah: KRÄTZÄ«, 23.4.1998, WDR und Wiederholungen auf anderen Sendern).
154 www.ich-will-waehlen.de
155 Wir verlangen ein einfaches universelles Kriterium für das Wählen: Staats­bürgerschaft und genügendes Interesse, sich zu registrieren und dann am Wahltag zu wählen. (ACS –www.brown.edu/Students/Association_for_Child­rens_Suffrage)
156 Beck 1997, S. 52