9. Wie soll das Kinderwahlrecht praktisch funktionieren?

Ich komme nun zum wirklichen Kinderwahlrecht, das davon ausgeht, dass Kinder unabhängig von ihrem Alter selbst wählen gehen. Diese Vorstellung ist erfahrungs­gemäß sehr gewöhnungsbedürftig, trotzdem wird diese Position ernsthaft vertreten.

Die radikale Forderung nach einem höchstpersönli­chen Wahlrecht wurde zuerst von den klassischen Kin­derrechtlern Richard Farson, John Holt und Howard Cohen in den 70er Jahren erhoben. Einige deutsche111 und internationale112 Autoren und Gruppen haben in­zwischen deren Argumente aufgegriffen und treten da­mit an die Öffentlichkeit. Sie werden in letzter Zeit durch andere Gruppen, z.B. durch Jugendorganisationen der Parteien, der katholischen Kirche und durch das Deut­sche Kinderhilfswerk unterstützt. Auch nach meiner Überzeugung wird nur diese Variante des Kinderwahl­rechts am Ende der Diskussion noch Bestand haben.

Da die Diskussion aber darunter leidet, dass sie vor al­lem abstrakt geführt wird, möchte ich einen Entwurf vorstellen, der praktikabel und nachvollziehbar ist. Das Wahlrecht muss nicht nur den Verfassungsgrundsätzen der Gleichheit und Freiheit entsprechen, es muss mög­lichst fehlerfrei durchführbar sein, von den Wählern ver­standen und akzeptiert werden. Viele Menschen stehen dem Kinderwahlrecht vermutlich skeptisch gegenüber, weil sie sich die Einzelheiten nicht vorstellen können.

Im folgenden Abschnitt soll deshalb die praktische Realisierbarkeit des echten Kinderwahlrechts überprüft werden. Oberstes Kriterium dabei ist, keine vorherseh­baren Verschlechterungen für die Beteiligten und die ganze Gesellschaft zu riskieren. Wenn das Gedankenex­periment darüber hinaus Verbesserungen erwarten lässt, könnte und müsste es in die Praxis umgesetzt werden. Ich werde versuchen, alle denkbaren Risiken und Effekte zu erörtern und möchte folgende Fragen beantworten:

  • Entsteht allgemein politischer Schaden, wenn das jetzige »bewährte System« gestört wird?
  • Welche Belastungen und zusätzlichen Aufgaben kommen auf die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu?
  • Nicht zuletzt: Wird Kindern Verantwortung aufgebürdet, die ihnen schadet?

Die Umstellung des Wahlrechts ist selbstverständlich eine komplexe Aktion, die in entsprechenden Gesetzge­bungsverfahren oder -vorverfahren von vielen Betroffe­nen und Fachleuten qualifiziert werden kann und muss. Die nachfolgenden Überlegungen müssen als erster Schritt in diesem Prozess aufgefasst werden.

Die allem vorausgehende Anfangsannahme, das Axi­om meines Gedankenexperiments, soll also lauten:

Jeder Mensch, der wählen möchte, darf unabhängig von seinem Alter nicht daran gehindert werden.113

Das entspricht der Streichung des Artikels 38 (2)114 des Grundgesetzes, in dem die Altersgrenze auf 18 Jahre festgelegt ist – mit entsprechenden Konsequenzen im Bundeswahlgesetz und anderen Bundesregelungen, auf die ich noch eingehe. Die Überlegungen sollen jedoch von der Bundesebene auf die Länder und Kommunen übertragen werden, so dass die neue Norm für alle Wah­len und Abstimmungen gelten kann.

Die Gefahr politischer Umbrüche

Die neue Regelung des Wahlrechts darf kein Chaos in der Parteienlandschaft, in den Parlamenten und damit bei der Gesetzgebung auslösen. Will man die Altersgrenze streichen, erfordert das beruhigenderweise keinerlei Än­derung an den parlamentarischen und administrativen Strukturen, auch nicht an verbesserungsbedürftigen. Un­ser politisches System wird damit nicht in Frage gestellt.

Quantitative Überlegungen

Die hinzutretenden Stimmen der Kinder und Jugendli­chen haben nicht die Kraft, ruckartig zu einem neuen Re­gelwerk der Gesellschaft zu führen. Die Entscheidungen hängen nach wie vor wesentlich von den erwachsenen Wahlberechtigten ab, die etwa 80 Prozent der Bevölke­rung bilden. Nach amtlichen Angaben115 gibt es in Deutschland rund 74,6 Millionen Deutsche,116 davon sind 14,1 Millionen im Alter von null bis 18 Jahren. Das entspricht einem Anteil von 18,9 Prozent.

Natürlicherweise werden nicht alle der neuen unter­18-jährigen Wahlberechtigten tatsächlich wählen gehen. Wenn für eine Überschlagsrechnung nur die mindestens 6-Jährigen berücksichtigt werden, bleiben rund zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, also etwa 13 Prozent. Diese 13 Prozent werden sich kaum einig sein, so dass potenziell umstürzlerische Ideen keine direkte Chance haben.

Die Repräsentativität der Demokratie

Wähler haben keinen direkten Einfluss auf politische Entscheidungen. Gewählt wird nicht die Politik (so ge­nannte Sachvoten), gewählt werden Politiker (Personen­voten). Die Volksvertreter fällen ihre Entscheidungen in viel höherem Maß als der einfache Wahlbürger seine Wahlentscheidung auf der Grundlage von umfassenden Informationen und nach mehreren »Lesungen«, in de­nen die Folgen der Entscheidungen gegeneinander abge­wogen werden. Das Parlament ist mit und ohne Kinder­wahlrecht außerdem an gesetzliche Bestimmungen und Verfahrensweisen gebunden und muss Verfassungsvor­schriften beachten, es muss insbesondere die Grundrech­te und die verfassungsmäßige Ordnung schützen. Unsere Demokratie gewährt, wie der bekannte Verfassungs­rechtler Günter Dürig feststellt: »keine Freiheit den Fein­den der Freiheit. [. . . ] Wenn das Grundgesetz die ›frei­heitlich demokratische Grundordnung‹ schützt, so geht es darum, dass der politische Wettkampf bei aller Härte doch gewaltfrei (friedlich) zu erfolgen habe. Konflikte werden nicht unterdrückt, aber ihre Austragung muss zi­vilisiert erfolgen«.117 Aus diesen Verpflichtungen resul­tiert eine Stabilität, die jeden Kinderwahlrecht-Skeptiker beruhigen sollte.

Volksabstimmungen

Auch bei Volksabstimmungen, an denen Kinder dann teilnehmen, muss gewährleistet bleiben, dass wichtige Verfassungsgrundsätze nicht verletzt werden. Solche Verletzungen rühren aber nicht von den jungen Wählern her, sondern eher von bisher nicht ganz geklärten Grundprinzipien bei Volksabstimmungen. So spricht Günter Dürig von »völlig unprofessioneller Stümperei, wenn zum Beispiel in allen Forderungen, dass ›das Volk‹ in Zukunft abstimmen dürfe, ungesagt blieb: aber über was. Mindestens ein präziser Negativkatalog hätte also in die Debatte gehört. Denn es konnte ja wohl nicht wahr sein, dass, um einige Horrorbeispiele zu nennen, die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Ausweisung aller Ausländer, die Abschaffung der Bundesländer, der Aus­tritt aus der UNO, die Wiedererrichtung der Mauer usw. zur Volksabstimmung freigegeben werden sollten.«118

Es ist nicht ersichtlich, dass Kinderstimmen hier ein zusätzliches Risiko darstellen. Stattdessen aber hätten Kinder durch ihr Wahlrecht höhere Chancen, in Volks­initiativen und ähnlichen Formen sie interessierende Themen und Probleme auf die Tagesordnung zu setzen. Für den abschließenden Volksentscheid gelten jedoch die quantitativen Überlegungen, wie sie zuvor bereits zu den Wahlen angestellt wurden.

Wenn sich der Zusammenbruch unseres politischen Systems also durch die Einführung des Kinderwahl­rechts ausschließen lässt, muss man nun untersuchen, wie das Wahlrecht geändert werden muss und ob es dabei praktikabel bleibt.

Die Gesetzgebung und die Wahlleitung

Das Bundeswahlgesetz

Entsprechend der Voraussetzungen des Experiments, aus dem Axiom und dem Wegfall von Artikel 38 (2) des Grundgesetzes, ergibt sich eine Änderung im Bundes­wahlgesetz. Die Regelung der Altersgrenze in Paragraf 12 muss aufgehoben werden. Zum Vergleich habe ich die notwendige Änderung durch Streichung angegeben.

Wahlrecht und Wählbarkeit

§ 12 Wahlrecht:

(1) Wahlberechtigt sind alle Deutschen119 im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die am Wahltage

1. das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben,

2. seit mindestens drei Monaten in der Bundes­republik Deutschland eine Wohnung innehaben oder sich sonst gewöhnlich aufhalten,

3. nicht nach §13 vom Wahlrecht ausgeschlossensind.

Obwohl es unser Thema nur tangiert, möchte ich eine kurze Überlegung zum Ausschluss vom Wahlrecht nach Paragraf 13 einschieben:

§ 13 Ausschluss vom Wahlrecht:

Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist,

1. wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt,

2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; [...]

3. wer sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet.

Wegen Paragraf 13 Nr.1 (Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45 StGB) ist in Ber­lin zwischen 1992 und 1998 nur insgesamt drei Perso­nen das Wahlrecht aberkannt worden. Deshalb wäre der potenzielle politische Schaden gering, wenn diese Perso­nen anders bestraft würden als mit dem Ausschluss vom Wahlrecht. Auch die anderen ausgeschlossenen Grup­pen (§ 13 Nr. 2 und 3) könnten zugelassen werden, wenn man bedenkt, dass die Stimmen selbst abgegeben wer­den müssen (Grundsatz der Höchstpersönlichkeit). Es ist nicht anzunehmen, dass ein wesentlicher Teil wählen gehen würde. Unabhängig davon wäre die Beeinflussung des Wahlergebnisses aus folgendem Grund geringfügig: In Berlin waren 1999 (1995) wegen Paragraf 13 insge­samt nur 563 (629) erwachsene Personen vom Wahl­recht ausgeschlossen (Antwort auf die Kleine Anfrage 149/00 (133/96)). Diese Zahl entsprach in beiden Fällen 0,04 Prozent der gültigen Stimmen. D.h., selbst wenn alle diese Personen sich an der Wahl persönlich beteiligt, alle eine gültige Stimme abgegeben und alle dieselbe »falsche« Partei gewählt hätten, wäre der entstandene »Fehler« des Wahlergebnisses zu vernachlässigen. Allein die Zahl der ungültigen Stimmen betrug bei den Zweit­stimmen 17.646 (24.683). Deshalb schlage ich im Sinn der geforderten Normenklarheit des Wahlrechts vor, Paragraf 13 BWahlG wegen seiner vernachlässigbaren Auswirkungen komplett zu streichen und in Paragraf 12 nur (1) Nr. 2 stehen zu lassen. Das würde u.a. viel ge­richtliche Mühe ersparen, keinen politischen Schaden anrichten und die Würde der Betroffenen nicht unnötig verletzen. Eine derartige pragmatische Herangehenswei­se ist beim Wahlrecht durchaus üblich, wie die Überle­gungen von Wolfgang Schreiber (1999) im Zusammen­hang zum Beispiel mit dem Zweistimmensystem, dem Ausländerwahlrecht und auch mit der Problematik von »Betreuungsfällen« belegen.

Aber auch wenn man diese, auf alle Fälle geringfügige Beeinflussung des Wahlergebnisses vermeiden möchte, wird an der gegenwärtigen Formulierung des Paragrafen 13 deutlich, dass außer bei Kindern eine individuelle Prüfung des Einzelfalles dem Ausschluss vorhergeht.

Zurück zum Thema. Reichen die oben vorgeschla­genen Änderungen von Grundgesetz und Wahlgesetz aus, den reibungslosen Ablauf des Kinderwahlrechts zu garantieren, oder machen sich weitere Maßnahmen er­forderlich?

Der Partizipationswille

Muss unter den neuen Bedingungen jeder Bürger eine Wahlbenachrichtigung erhalten, die ihm die Sicherheit gibt, registriert zu sein, und ihn darüber informiert, wo und wann er wählen kann? Da nicht alle jungen Men­schen Interesse an der Wahl entwickeln werden, sollte man überflüssigen Aufwand (Verwaltungs-, Druck- und Portokosten) vermeiden. Eine mögliche Lösung kann vom Wahlsystem anderer westlicher Demokratien abge­schaut werden.

In den USA bestehen wie in Deutschland bestimmte Voraussetzungen, an die die Wählerqualifikation ge­knüpft wird, aber anders als bei uns muss der Wähler sei­nen Wahlwillen bekunden und sich dafür in eine Wähler­liste eintragen lassen.120 Mit diesem Prinzip könnte der unsinnigen Übermittlung von Wahlunterlagen an sehr junge, noch nicht am Wählen interessierte Menschen entgegengewirkt werden. Abweichend zur USA-Rege­lung müsste sich jeder nur einmal im Leben anmelden und bekäme erst ab dann, wie üblich, die Wahlunterla­gen automatisch zugesandt.

Das wirft allerdings die Frage auf, wie dann die Wahl­beteiligung berechnet werden soll.121 Das ist insofern ein Problem, als in der Wahlbeteiligung üblicherweise Bin­dungsverluste des Bürgers an den Staat und politische Unzufriedenheit zum Ausdruck kommen. Bezieht man sich auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten (also alle ab Geburt)? Dann würde automatisch die Wahlbeteili­gung prozentual sinken. Oder nimmt man nur die Ange­meldeten zur Basis, von der aus der Prozentsatz ausge­rechnet wird? Dann erfährt man nur wenig über die Anzahl der Nichtwähler. Eine Lösung könnte sein, die Zahl der noch nicht angemeldeten Wähler gesondert in den Wahlanalysen anzugeben, gegebenenfalls nach Al­tersgruppen sortiert. Nicht zu vergessen ist dabei natür­lich, dass – in absoluten Zahlen gesehen – die Wahlbetei­ligung durch das Kinderwahlrecht steigen würde.

Kurz gesagt vermeidet das hier vorgeschlagene An­tragswesen Bürokratie, was dazu führt, dass die Wahlbe­teiligung differenzierter betrachtet werden muss. Kei­nesfalls lässt sich eine Gefährdung der Demokratie oder des rechtmäßigen Ablaufs der Wahlen daraus ableiten.

Beeinflussung, Erpressung, Wahlgeheimnis und Briefwahl

Ein häufig gegen das Kinderwahlrecht geäußerter Ein­wand lautet: Kinder können manipuliert und beeinflusst werden. Hinter dem Verdacht der Manipulierbarkeit verbirgt sich die Befürchtung, mit der Beteiligung der Kinder werde die vom Grundgesetz gesicherte Freiheit der Wahl eingeschränkt und werden so verfälschte Wahlergebnisse ermöglicht. Um zu verstehen, was Frei­heit der Wahl beinhaltet, sei ein Zitat des Juristen Wolf­gang Schreiber aus dem Kommentar des Bundeswahlge­setzes wiedergegeben. »Freiheit der Wahl besagt in erster Linie, dass jeder Wahlberechtigte sein aktives Wahlrecht ohne (physischen) Zwang oder (psychologischen) Druck oder sonstige unzulässige direkte oder indirekte Einfluss­nahme auf die Entschließungsfreiheit von außen –durch die öffentliche Hand, durch politische Parteien oder an­dere Wahlvorschlagsträger [...] und ihre Wahlbewerber, durch sonstige Institutionen, gesellschaftliche Gruppie­rungen oder von privater Seite – ausüben können muss und dass insbesondere während des Wahlaktes keine Be­einflussung von außen, aber auch nach der Wahl keine wie auch immer geartete Kontrolle des Inhalts der einzel­nen Stimmabgabe erfolgen darf.

Darüber hinaus besagt Freiheit aber auch, dass der Wähler die seiner Überzeugung entsprechende Wahlent­scheidung in einem freien, offenen Prozess der Mei­nungsbildung vorbereiten und anschließend fällen kön­nen muss. Er muss mithin vor jeder Beeinflussung geschützt sein, die seine Entscheidungsfreiheit trotz be­stehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchti­gen in der Lage ist. [...] Der Grundsatz der Wahlfreiheit umfasst nicht nur das ›Wie‹ sondern auch das ›Ob‹ einer Wahl.«122

Rechtlich ist die Sache also klar, für Kinder muss daran nichts geändert werden. Aber wie muss man sich die Um­setzung dieser Bestimmungen in die Praxis vorstellen?

Wenn junge Menschen die Stimme im Wahllokal »ab­geben«, ist die Einhaltung des Wahlgeheimnisses kein Problem. Wenn Kinder wissen, dass sie in der Wahlkabi­ne allein sind und keiner kontrollieren kann, was sie wählen, geht die versuchte, nicht einvernehmliche, wo­möglich erpresserische Einflussnahme ins Leere. Die Freiheit der Wahl ist gesichert. (Zur einvernehmlichen, nicht erpresserischen Einflussnahme der Eltern komme ich im Abschnitt über die Eltern.) Für den anderen Fall, dass Kinder am Wahltag nicht in das Wahllokal kommen können oder wollen, gelten auch für sie die Regeln der Briefwahl, wie sie in Paragraf 36 des Wahlgesetzes festge­halten sind.

§ 36 Briefwahl

(1) Bei der Briefwahl hat der Wähler [...] b) in einem besonderen verschlossenen Umschlag seinen Stimmzettel so rechtzeitig zu übersenden, dass der Wahlbrief spätestens am Wahltage bis 18 Uhr eingeht. [...]

(2) Auf dem Wahlschein hat der Wähler oder die Hilfsperson gegenüber dem Kreiswahlleiter an Eides statt zu versichern, dass der Stimmzettel persönlich oder gemäß dem erklärten Willen des Wählers gekennzeichnet worden ist. Der Kreiswahlleiter ist zur Abnahme einer solchen Versicherung an Eides statt zuständig;

In Ergänzung dazu regelt die Bundeswahlordnung (BWO), dass der Wähler auch im Falle der Briefwahl ge­heim (»unbeobachtet«) ankreuzen muss. Hier sei wieder­um der entsprechende Paragraf im Wortlaut zitiert.

§ 66 Briefwahl

(1) Wer durch Briefwahl wählt, kennzeichnet persönlich den Stimmzettel, legt ihn in den amtlichen Wahl­umschlag und verschließt diesen, unterzeichnet die auf dem Wahlschein vorgedruckte Versicherung an Eides statt zur Briefwahl unter Angabe des Ortes und Tages, steckt den verschlossenen amtlichen Wahl­umschlag und den unterschriebenen Wahlschein in den amtlichen Wahlbriefumschlag, verschließt den Wahlbriefumschlag und übersendet den Wahl­brief durch die Post rechtzeitig an die [...] auf dem Wahlbriefumschlag angegebene Stelle. [...]

(3) Der Stimmzettel ist unbeobachtet zu kennzeichnen und in den Wahlumschlag zu legen [...]. Für die Stimmabgabe behinderter Wähler gilt § 57 ent­sprechend. Hat der Wähler den Stimmzettel durch eine Hilfsperson kennzeichnen lassen, so hat diese durch Unterschreiben der Versicherung an Eides statt zur Briefwahl zu bestätigen, dass sie den Stimmzettel gemäß dem erklärten Willen des Wählers gekennzeichnet hat. [...]

Bereits unter den gegenwärtigen Bedingungen machen viele Wahlberechtigte von der Möglichkeit Gebrauch, außerhalb des Wahllokals zu wählen. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 10. Oktober 1999 haben genau 316.403 Berliner per Briefwahl gewählt. Das sind 20 Prozent aller Wähler.123Bei Bundestagswahlen war der Anteil geringer, er lag meist bei ca. zehn Prozent.124

Fest steht, dass bei der jetzigen Regelung der Briefwahl ein gewisser Missbrauch nicht ausgeschlossen werden kann. Wenn man unterstellt, dass per Briefwahl wählen­de Kinder nicht selber wählen, weil dies die Eltern oder andere Personen gesetzwidrig und trotz des dazu not­wendigen, mit strafrechtlichen Konsequenzen bewehr­ten Meineids tun, sollten angesichts dieser relativ hohen Zahl von Briefwählern Gegenmaßnahmen ergriffen wer­den. Unter Umständen sollten, um das Risiko der ge­fälschten Kinderstimmen zu vermindern, die Briefwahl­bedingungen wieder erschwert werden. Bereits ohne das Kinderwahlrecht laufen Überlegungen in diese Rich­tung. »Die Briefwahl darf nicht dazu führen, dem Wahl­berechtigten aus Bequemlichkeitsgründen den Weg zum Wahllokal zu ersparen. Im Sinne der Sicherung der Wahl­freiheit und des Wahlgeheimnisses sowie zum Ausschluss von Manipulationen bei der Briefwahl sind die Verschär­fungen zu sehen, die durch die BWO [...] hinsichtlich der Aushändigung/Übersendung von Wahlscheinen und Briefwahlunterlagen getroffen worden sind. [...] Die Eröffnung der Möglichkeit, per Briefwahl bereits bei Ab­holung der Briefwahlunterlagen ›an Ort und Stelle‹ zu wählen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.«125

Bei erwachsenen hilfsbedürftigen Personen ist natur­gemäß die Geheimhaltung besonders gefährdet und da­mit steigert sich die Möglichkeit der illegalen Beeinflus­sung. Auch für diesen Fall hält die Bundeswahlordnung Bestimmungen bereit, die die Wahlfreiheit garantieren. Die vorhandenen Parallelen zwischen den eingeschränk­ten Fähigkeiten von jüngeren Kindern und Menschen mit Behinderungen machen es leicht, die in Paragraf 57 BWO vorhandenen Regeln zu übernehmen.

§ 57 Stimmabgabe behinderter Wähler

(1) Ein Wähler, der des Lesens unkundig126 oder durch körperliches Gebrechen behindert ist, den Stimmzettel zu kennzeichnen, in den Wahlum­schlag zu legen, diesen selbst in die Wahlurne zu legen oder dem Wahlvorsteher zu übergeben, bestimmt eine andere Person, deren Hilfe er sich bei der Stimmabgabe bedienen will, und gibt dies dem Wahl­vorstand bekannt. Hilfsperson kann ein vom Wähler bestimmtes Mitglied des Wahlvorstandes sein.

(2) Die Hilfeleistung hat sich auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers zu beschränken. Die Hilfs­person darf gemeinsam mit dem Wähler die Wahlzelle aufsuchen, soweit das zur Hilfeleistung erforderlich ist.

(3) Die Hilfsperson ist zur Geheimhaltung der Kenntnisse verpflichtet, die sie bei der Hilfeleistung von der Wahl eines anderen erlangt hat.

Um den streng verbotenen Missbrauch durch die Hilfs­person möglichst auszuschließen, könnte die Hilfsper­son in besonderer Weise auf ihre Pflichten hingewiesen werden. Fällt ein Verdacht des Missbrauchs auf die Hilfs­person, muss diese ausgewechselt werden. In dieser Fra­ge kann auf die Erfahrung gesetzt werden, die eine ver­nünftige Regelung nach und nach hervorbringen wird.

Ich gehe davon aus, dass die meisten Eltern oder andere Hilfspersonen ihre Macht nicht einsetzen werden, um das Kind mit unlauteren oder gesetzwidrigen Methoden von seiner eigenen Meinung abzubringen. Zwischen Kindern und Erwachsenen wird sich, sobald Kinder Wahlbürger sind, ein prinzipiell gleichberechtigtes Ver­hältnis entwickeln. Ich werde aber später noch einmal auf die Rolle der Eltern beim Kinderwahlrecht eingehen.

Für den Fall, dass die Erwachsenen wider Erwarten ihre Einflussmöglichkeiten missbrauchen, ist zusätzlich eine quantitative Abschätzung des Risikos für den Wahl­ausgang hilfreich. Ich nehme für eine Überschlagsrech­nung an, dass der Anteil von Kindern, die Hilfe benöti­gen, grob geschätzt 75 Prozent der Gruppe der Fünf- bis Achtjährigen betragen wird. Das sind in den vier Jahr­gängen etwa 3.000.000 Menschen, denn jeder Jahrgang umfasst etwa eine Million. Nimmt man an, dass insge­samt nur zehn Prozent dieser Untergruppe tatsächlich wählen gehen, bleiben bundesweit nur etwa 300.000 vom Missbrauch bedrohte Wähler übrig. Wenn von die­sen Kindern – absichtlich hoch geschätzt – jedes zehnte durch Einwirkung der Hilfsperson fremdbestimmt wird, sind das 30.000 falsche Stimmen von rund 40 Millionen bundesweit, unterstellt man bewusst eine niedrige Wahl­beteiligung von 50 Prozent. Das ergibt einen Fehler von 0,075 Prozent, also nicht einmal einem Zehntel Prozent. Diese Zahl bezieht sich nur auf den Fall der rücksichtslo­sen Machtausnutzung durch Erwachsene. Um diesen be­dauernswerten Effekt zu vermeiden, kann der Aus­schluss aller Unter-18-jährigen keinesfalls als angemes­sen bezeichnet werden. Zusätzlich muss bedacht werden, dass Machtmissbrauch in verschiedenen politischen La­gern betrieben wird, sich die Fehler im Wahlergebnis also kompensieren.

Außerdem riskieren erwachsene, ›falsche‹ Hilfsperso­nen, dass die Kinder ausplaudern, wie es abgelaufen ist, und nehmen deshalb die Gefahr einer Strafe in Kauf. Auf Wahlbehinderung, Wahlfälschung, Verletzung des Wahl­geheimnisses, Wählernötigung, Wählertäuschung und Wählerbestechung stehen bereits heute Strafen von bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug.127 In keinem Fall legiti­miert ein potenzieller Gesetzesverstoß die Vorenthaltung des politischen Grundrechts der Wahl. Der Wahlleitung kommt die Aufgabe zu, im (Vor-)Wahlkampf besser auf­zuklären und die Einhaltung der Regeln zu kontrollieren.

Die Wahldurchführung

Unter den Bedingungen des Kinderwahlrechts muss sich die Wahlleitung in ihren Mitteilungen an die Wähler an die Fähigkeiten der jungen Wähler anpassen. Verständli­chere Formulierungen und ausführlichere Erläuterungen des Wahlsystems stellen aber sicher kein großes Problem dar. Die Wahlleitung wäre auch nur für die technische Umsetzung zuständig. Kompliziertere Fragen, wie zum Beispiel die Bedeutung von Erst- und Zweitstimme, müssten sowieso bereits im Wahlkampf von den Medien oder den Kandidaten selbst erklärt werden. Die Verän­derungen im Bereich der Wahldurchführung würden für alle Wähler einen Vorteil bringen, getreu dem Motto »Was für Kinder gut ist, ist auch für Erwachsene gut«.

Einerseits sind die Wahlvorschriften in ihren Einzelhei­ten auch vielen jetzigen Wählern unbekannt, anderer­seits bedeutet das für den Ablauf der Wahl keine Schwie­rigkeit. Was man nicht weiß, wird bei Bedarf erklärt. So wird es auch bleiben, wenn Kindern etwas unverständ­lich ist.

Auch die Erhöhung der Anzahl der Stimmen um schät­zungsweise maximal 15 Prozent führt sicher nicht zu Problemen (zum Beispiel beim Auszählen). Schlimm­stenfalls müssen einige zusätzliche Stimmbezirke gebil­det werden. In den meisten Wahllokalen wird der zu er­wartende Mehraufwand bei der üblichen Wahlbeteili­gung aber zu verkraften sein. Erhöhtes Porto, Druck-kosten usw. sind kein Argument, da der Grundsatz der Allgemeinheit beim Wahlrecht schwerer wiegt als jede Briefmarke.128 Das neu einzuführende Verfahren der Registrierung erfordert einen gewissen Aufwand, der aber – da er von jedem Menschen nur einmal im Leben verursacht wird – ebenso wenig eine prinzipielle Hürde darstellt.129

Die ungleichmäßige regionale Verteilung der Kinder erfordert es eventuell, den Zuschnitt von Wahlkreisen zu ändern. Größere Änderungen sind jedoch nur einmal, anlässlich der Einführung des Kinderwahlrechts, zu er­warten.

Die Politiker und die Parteien

Die Parteiprogramme

Politiker und Parteien haben erheblichen Druck zu er­warten. Darin besteht zugleich die größte Chance für die Politik. Sie müssen die Inhalte ihrer Programme ändern und erweitern, denn Gleichberechtigung zwischen den Generationen, Nachhaltigkeit, Kriegsdienst, Drogenpo­litik, Medienpolitik, Telekommunikation und manches andere gehört auf den Prüfstand.

Mit den neuen Themen kommt auf die Parteien eine personelle Erneuerung zu.Viele gesellschaftliche Kräfte– zum Beispiel die bei Jugendlichen hoch angesehene130 Organisation Greenpeace – hätten eine Chance, Einfluss auf die Parteien zu gewinnen. Die Parteien könnten sich nicht leisten, das Wählerpotenzial von ca. zehn bis 13 Prozent außer Acht zu lassen. Sie würden auf die jungen Menschen zugehen und junge Kräfte mehr als bisher berücksichtigen müssen. Das Ressort Jugend spielt gegenwärtig – an den finanziellen Aufwendungen ge­messen – eine eher bescheidene Rolle131 und bekäme dann den ihm zustehenden Stellenwert. Eine ernst zu nehmende Wählerschicht würde motivierten Politikern den Rücken stärken. Sie könnten, jeder in seiner Partei, mit Unterstützung für das Jugendressort rechnen. Ähn­lich wie in der Umweltpolitik, die inzwischen in allen Parteien ernst genommen wird, begänne in der Kinder­frage in allen politischen Lagern die Suche nach den bes­ten Konzepten.

Die in Diskussionen immer wieder von Gegnern des Kinderwahlrechts befürchtete bzw. prognostizierte ›Gummibärchen-Taktik‹, also das Vorhaben, die Kinder mit billigen Geschenken abzuspeisen und abzulenken, zu täuschen oder auch zu korrumpieren, wird deshalb kaum funktionieren. Alle Parteien werden genau darauf achten, ob die politischen Gegner mit unseriösen Mitteln den Kindern das Blaue vom Himmel versprechen, und diesen Betrug gegebenenfalls aufdecken.

Unabhängig davon darf nicht vergessen werden, dass den Kandidaten nicht nur die jungen Wähler gegenüber stünden, sondern auch die Menschen, die sich für Kinder engagieren, und zwar nicht nur im Sinne von höherem Kindergeld und Steuerfreibetrag. Die Parteien riskierten also nicht nur die Kinderstimmen, sondern auch ihren Ruf und damit die Stimmen engagierter Erwachsener. Auch im kommunalen Bereich, in dem die Verantwortli­chen jährlich den Etat der Jugendhilfe kürzen, würden Kinder ihr Mitbestimmungsrecht gut nutzen können. Wenn sich die Parteien nicht rühren, werden die Kinder und ihre Freunde das »honorieren«.

Wahlkampf- und Politikstil

Jede Partei und jeder Politiker müssen sich im öffentli­chen Raum mit mehr Transparenz, Klarheit und Redlich­keit äußern, wenn sie nicht versagen wollen. Das wäre eine positive Folge des Kinderwahlrechts.

Die Parteien und Politiker müssen den Stil ihrer An­sprache an »den Wahlbürger« ändern. Viele unpräzise, schwammige Formulierungen laufen Gefahr, als hohl entlarvt zu werden. »Aber der Kaiser ist ja nackt«–es war ein Kind, das diese Wahrheit aussprach, während all die klugen Erwachsenen trotz der nackten Tatsachen an ihrem eigenen Verstand gezweifelt oder wider besseres Wissen untertänigst geschwiegen haben!

Alle Politiker und Parteien geraten unter Druck, genau­er als bisher zu erklären, was sie wann und warum wol­len. Selbst wenn viele Kinder z.B. die detaillierte Erläute­rung des Haushaltsplans, einzelne Probleme der Ost­erweiterung der Europäischen Union und andere kom­plexe Themen nicht verstehen werden, bleiben genügend nachvollziehbare und kontrollierbare Programmpunkte übrig. Auch Erwachsene kommen im Allgemeinen mit an Kinder gerichteten Erklärungen besser zurecht.

Die Gefahr der Vereinfachung

Das Kinderwahlrecht ist eine Vision von Träumern! So lautet der Schreckensschrei der Kritiker. Fasst man ihre Einwände zusammen, ergibt sich folgende Horrorvor­stellung:

Im Kampf um die Stimmen greifen Parteien zu allen Mitteln. Sie stellen infame Werbeagenturen an, die kin­derwirksam oberflächliche Sprüche klopfen. Da bei Kin­dern davon ausgegangen werden kann, dass sie kom­plexe Zusammenhänge nicht verstehen, wird gnadenlos vereinfacht. Holzschnittartig präsentieren sie ihr Pro­gramm und versprechen einzelne Maßnahmen, die Kin­dern zwar zum Teil tatsächlich einen Vorteil bringen, aber das Wesen ihrer übrigen Pläne nur verdecken. Womöglich werden für den Fall der Wahl des politischen Gegners zusätzlich Furcht und Schrecken verbreitet. Mit den auf diese Weise gewonnenen Stimmen wird dann – so geht die Unterstellung weiter – der Angriff geritten, ent­weder – in der Variante sozial(istisch)er Kritiker – auf den Sozialstaat und die Umwelt zu Gunsten der Wirt­schaftsbosse oder – in der Variante konservativer Kriti­ker – auf den liberalen Staat, seine freien Bürger und die Marktwirtschaft, die allein Gewähr für gesellschaftli­chen Aufschwung bieten.

Zunächst drücken diese Albträume der Kritiker des Kinderwahlrechts ein tiefes Misstrauen in die gegenwär­tige Politik aus. Politiker seien zu allem fähig, wird damit unterstellt. Sollte das stimmen, müssten – angesichts der jahrhundertelangen Geschichte von Politik, die nichts Besseres hervorgebracht hat – bedeutend gravierendere Maßnahmen als das Kinderwahlrecht eingeführt wer­den. Der Umbau des politischen Systems steht in diesem Buch aber nicht zur Debatte.

Zugleich wird unterstellt, dass Kinder dumm seien und diese Tricks nicht durchschauen könnten. Aber nicht nur das. Die Vorstellung suggeriert auch, Kinder seien auf einmal »an der Macht« und könnten und müssten fern­gesteuert werden, freilich ohne es selbst zu merken. Wie wenig berechtigt diese Ängste sind, habe ich bereits dar­gelegt, denn die Parteien hängen nicht nur von Kinder-stimmen ab, die kaum mehr als 13 Prozent betragen. Wenn alle Kinder in die Falle der besser lügenden Partei gehen sollten, werden sich die umsichtigeren Erwachse­nen in mindestens ebenso hohem Maß von dieser Partei abwenden. Eltern, Medien und andere Gruppen werden, weniger aus pädagogischen Gründen als aus ihren eige­nen politischen Interessen, die Lügen aufdecken und den Kindern die Hintergründe erklären.

Unabhängig von der beschriebenen Horrorvision wird befürchtet, dass Jugendliche nicht verantwortungsvoll handeln würden und in politischen Wahlen und Abstim­mungen zu Extrempositionen neigen und rechts- oder linksextremen gesellschaftlichen Tendenzen Vorschub leisten könnten. Dieser Behauptung stehen Studien zur politischen Sozialisation im Jugendalter entgegen, die als Ursache für Extrempositionen den Ausschluss der Ju­gendlichen von politischen Entscheidungen aufdecken. »Demoralisierung, Depression und Deprivation sind die Konsequenzen, wenn ein Mensch das Gefühl hat, die eigenen Bedingungen und die Lebensgestaltung nicht beeinflussen zu können, also gerade, wenn ihm die Parti­zipation in wichtigen Lebensfragen vorenthalten wird oder sie ihm vorenthalten zu sein scheint.«132

Chancen

Natürlich wäre der Ausgang der Wahlen nach Einfüh­rung des Kinderwahlrechts weniger berechenbar, Kriti­ker sollten aber bedenken: Wahlen wären sinnlos, wenn bestimmte Gruppen das Wahlrecht so regeln, dass ihr Wunschwahlergebnis die Folge wäre. Wenn Erwachsene Kinder ausschließen, damit diese nicht CDU, SPD, PDS, NPD, DKP oder was auch immer wählen, wäre das zu­tiefst undemokratisch und damit verfassungswidrig.

Außerdem gestehen sich die Zweifler ungewollt ein, dass sie selbst den Lügen der Gegner keine programmati­sche Substanz, die Kindern vermittelbar wäre, entgegen­setzen können. Entweder halten sie sich selbst nicht für immun gegen die üblen Methoden, oder sie trauen sich integere, konstruktive Beiträge nicht zu. Dieses Selbst-bild kann eine Partei nicht ernsthaft von sich haben. Nach logischen Gesichtspunkten müssten alle Parteien die Idee vom Kinderwahlrecht befürworten, da sie die Chance bietet, unterentwickelte wichtige Politikfelder voranzubringen – und zwar besser als politische Gegner.

Die Eltern, Lehrer usw.

Der Dialog

»Kindheitsbezogene Maßnahmen, auch wenn sie vor­dergründig auf Kinder abzielen, beruhen meistens auf adultistisch verzerrten Vorstellungen vom Kindeswohl: Kinder werden von Erwachsenen im Allgemeinen als un­reif eingestuft. Daraus wird abgeleitet, dass Kinder nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu erkennen und zu ver­treten, und daher das Kindeswohl von den Erwachsenen (Eltern, Lehrern, Sozialarbeitern, Richtern, Experten usw.) bestimmt werden muss. Diese Auffassung deckt sich allerdings nicht mit den Erkenntnissen der moder­nen Pädagogik und Psychologie, wonach in der her­kömmlichen Auseinandersetzung von Erwachsenen mit Kindern Reife und Kompetenz von Kindern generell un­terschätzt werden.«133

Eltern und andere Erwachsene werden unter den Bedin­gungen des Kinderwahlrechts anfangs oft nicht wissen, wie sie Kindern die Fragen zu politischen Verhältnissen und den Kandidaten im Wahlkampf beantworten sollen. Sie werden dennoch gezwungen sein, sich diesen Fragen zu stellen. Dabei müssen sie damit rechnen, dass ihre Meinungen von den Kindern mit anderen Informations-quellen verglichen werden, so dass sie die Aufdeckung ihrer Wissenslücken riskieren. Das mag manchmal als peinlich empfunden werden, ist jedoch nicht schlimm; ich halte es sogar für einen Vorteil, dass Kinder mit der Fehlbarkeit ihrer Eltern konfrontiert würden, was zu mehr Realitätssinn beiträgt und die Gleichberechtigung fördert.

Die von vielen gesellschaftlichen Kräften zu erwarten­de Aufklärungskampagne134 über das neue Wahlsystem wird manchen Eltern die Last auferlegen, sich mit den neuen Regeln und mehr als bisher mit der Alltagspolitik auseinander zu setzen. Nach einigen Jahren, spätestens nach einer Generation, wird sich jedoch eine gewisse Selbstverständlichkeit im Umgang damit einstellen.

Den Eltern und Pädagogen stellt sich das Problem der Aufklärung in unterschiedlicher Weise, abhängig vom Vorwissen und vom Interesse der Kinder und Jugendli­chen. Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger wird es sein, die konkreten Politikinhalte zu vermitteln. Ohne weiteres kann Kindern erklärt werden, dass sie sich nicht genötigt zu fühlen brauchen, zur Wahl zu gehen. Sie kön­nen ihre erste Wahl, an der sie bereits allgemeines Inter­esse entwickeln, getrost verstreichen lassen, wenn sie sich zum Beispiel überfordert fühlen.

Zwischen Eltern und Kindern werden Gespräche so­wohl über Demokratie, Sinn und Zweck der Wahlen als auch über die Parteien und ihre Politikangebote entste­hen. Sie werden über die Verantwortung sprechen, die man mit der Wahlentscheidung übernimmt. Einfluss­größen der repräsentativen Demokratie müssen geklärt werden, zum Beispiel welchen Charme und Witz ein Po­litiker bei aller fachlichen Kompetenz haben sollte. Das Charisma eines Politikers spielt manchmal – und nicht zu Unrecht – eine ausschlaggebende Rolle, wie das Bei­spiel von Oskar Lafontaine zeigt, der 1995 wegen einer emotionalen Rede überraschend zum Parteivorsitzen­den gewählt wurde.

Die Kommunikation über die Wahlen dient der politi­schen Bildung und vielleicht sogar dem Familienklima. Selbst in Familien, in denen keine aufgeschlossene At­mosphäre herrscht und Kinder »streng erzogen« und nicht ernst genommen werden, kann mit einem Selbstbe­wusstseinsschub der Kinder gerechnet werden, da sie in anderen Kreisen durch ihre Freunde und durch die Me­dien darin bestärkt werden, dass auch sie wichtig sind und ihre Meinung zählt.

In Schule, Jugendclub und anderen öffentlichen Ein­richtungen werden sich die professionellen Partner von Kindern von Amts wegen Gedanken machen müssen, wie sie Wahlen und Wahlkampf erklären. Auch diese Er­wachsenen müssen dabei den Kindern klar machen, dass zum Wahlrecht die Freiheit gehört, nicht zu wählen, sich noch nicht in den »Sumpf der Politik« ziehen zu lassen.

Für Schulen und ähnliche öffentliche Gebäude gelten dann für das Plakatieren und andere Werbung bestimmte Wahlkampfregeln, die die Chancengleichheit aller Kan­didaten sichern und die Belästigung derjenigen ausschlie­ßen, die nicht wählen wollen.

Beeinflussung, die Kinder achtet

Der Begriff ›Beeinflussung‹ klingt – wenn es um die Wahl­stimme geht – fast wie ein Verbrechen. Einerseits ist sie das auch, wenn sie nämlich – wie dargelegt – gegen das Prinzip der Freiheit der Wahl verstößt. Auf der anderen Seite ist der ganze Wahlkampf aber nichts anderes als der systematische Versuch, die Wähler zu beeinflussen. Dies ist nicht nur erlaubt, sondern der Zweck des Wahlkamp­fes. Ohne Beeinflussung würde sich nur wenig ändern.

Auch im Familien- und Freundeskreis findet ständig Beeinflussung statt. Sie geschieht vielfach selbstbe­stimmt, indem man andere fragt und sich beraten lässt. Die eigene Meinung ist meist nichts anderes als die Mi­schung aus anderen Meinungen, die zuvor ebenso ent­standen sind. Auch Kinder werden in angstfreier Umge­bung selbst um Rat fragen. Darauf begründet zu ant­worten, stellt dann die eigentliche Herausforderung für die Erwachsenen dar.

Kritiker befürchten, dass viele Kinder auch ohne Mani­pulation wählen werden, was ihre Eltern wählen, da sie von diesen abhängen. Sie werden einfach nur machen, was die Eltern empfehlen oder gar befehlen. Diese An­nahmen scheinen mir erstens nicht plausibel, denn die Kinder reden nicht nur mit den Eltern, sie entwickeln – gerade auch im Falle von Bevormundung – eine andere Meinung. Zweitens sind diese Annahmen nicht bedenk­lich, denn selbst wenn alle Kinder dasselbe wählen wür­den wie ihre Eltern, träte kein Schaden für unsere Demo­kratie und unseren Staat ein. Von Eltern favorisierte Parteien erhielten eben jeweils mehr Stimmen als bisher. Das Kinderwahlrecht wird zudem auch den umgekehr­ten Effekt haben. Eltern und andere Erwachsene werden von den Kindern und Jugendlichen und deren Überzeu­gungen beeinflusst werden.

Die Massenmedien

Massenmedien müssen im Wahlkampf zweierlei leisten. Sie müssen einerseits Politikinhalte vermitteln und ande­rerseits erklären, welche Regeln beim Wählen gelten. Die Interessen von Kindern und Jugendlichen werden dann nicht nur in speziellen Veröffentlichungen Berück­sichtigung finden, sondern auch in allen allgemein politi­schen Sendungen und Printmedien. Das bezieht sich so­wohl auf den Stil der Darlegung als auch auf die Themen. Moderatoren werden in politischen Talkshows ihre Gäs­te auf Klarheit und eine einfache, aber nicht vereinfa­chende Sprache verpflichten. Sie werden jugendbezoge­ne Analysen der politischen Rechenschaftsberichte und Programme produzieren und die Meinung der neuen Wählerschaft veröffentlichen. Umfragen – sowohl zur Wahl als solcher als auch zur sonstigen Wirklichkeit – werden deutlich machen, wo die Jugend Probleme sieht, und zur Beseitigung dieser Probleme beitragen. Auch Eltern werden über ihre Rechte und die der Kinder infor­miert (sowohl beim Wählen als auch im Allgemeinen). Schließlich erhalten Parteien und Öffentlichkeit Infor­mationen und Anregungen, die bisher in den Studierzim­mern der Kindheitsforscher eher ein Schattendasein führen. Das Internet und Schülerzeitungen bieten den »Betroffenen« Möglichkeiten, eigene Positionen zu pub­lizieren und darüber zu kommunizieren. Der entstehende öffentliche Raum wirkt also – im Sinne des Menschen­rechts auf freie Meinungsäußerung im Grundgesetz als Zensurverbot und Pressefreiheit verankert – auch als Schutzraum, der Kinder vor Desinformation zu bewah­ren hilft.

Im Rahmen meines Gedankenexperiments muss ich je­doch vor allem fragen, ob jemand beziehungsweise wer Nachteile durch die neuen Aufgaben der Medien riskiert. Auch unter den Verlagen und Sendern sind einige, die nicht am gesellschaftlichen Frieden oder Ausgleich, son­dern an der Durchsetzung eigener Vorteile interessiert sind.135 Nach Einführung des Kinderwahlrechts muss mit psychologischen Tricks und Lügen gerechnet wer­den, die Kinder in ihren Bann ziehen.

Die konkurrierenden Medien sowie die großen Partei­en und ihre Wähler werden versuchen, die Stimmungs­mache dieser Kräfte mit allen Mitteln bloßzustellen. Die­ser Strategie ist unter den Bedingungen des Erwach­senenwahlrechts der Erfolg nicht ganz abzusprechen. Beispielsweise erhielten bei der Bundestagswahl 1998 radikale Parteien nur wenige Prozent der Stimmen: Re­publikaner 1,8 Prozent, NPD 0,3 Prozent, ProDM 0,9 Prozent, DKP 0,1 Prozent. Das Grundgesetz setzt zudem Schranken für bestimmte, auch mediale Handlungen:

Artikel 9:

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

Gegen alle anderen Ansichten und ihre Verbreitung hilft – wie bisher – nur die inhaltliche Auseinanderset­zung. Oder wie der Philosoph Ulrich Beck schreibt: »Niemals kann ein Zuviel an politischer Freiheit tota­litäre Herrschaft begründen.«136

Der potenzielle Schaden, den die Medien anrichten könnten, lässt sich schließlich auch quantitativ abwä­gen. Einerseits werden demagogische Publikationen schwerlich dominierenden Einfluss gewinnen, dafür ist der Medienmarkt zu groß und zu voll. Andererseits ist wie in den vorigen Abschnitten davon auszugehen, dass nur ein relativ kleiner Prozentsatz der jugendlichen Wähler für Einseitigkeit empfänglich ist. Das Kinder­wahlrecht ist jedenfalls kaum deshalb abzulehnen, weil es einigen Massenmedien gelingen könnte, Kinder mit subtilen Methoden vorübergehend zu unüberlegten Wahlentscheidungen zu verleiten.

Die Kinder und Jugendlichen

Bereits an dieser Stelle lässt sich feststellen, dass der vor­gestellte Entwurf eines echten Kinderwahlrechts reali­sierbar ist. Das Kinderwahlrecht kollidiert kaum mit gegenwärtigen Wertvorstellungen. Schaut man auf die Konsequenzen des Kinderwahlrechts im Einzelnen und prüft die betroffenen Bereiche der Gesellschaft, überwie­gen die Vorteile. Die Risiken sind gering und werden durch die Nachteile kompensiert, die das jetzige Wahl­recht aufweist. Ein Plädoyer muss deshalb eindeutig zu Gunsten des Wahlrechts ohne Altersgrenze ausfallen. Bisher standen jedoch nur einerseits die Chancen und an­dererseits die Belastungen und Gefahren für das Gemein­wesen im Mittelpunkt der Erörterung. Abschließend soll es um die Frage nach dem Risiko gehen, das für Kinder und Jugendliche mit dem Wahlrecht verbunden ist.

Wie mehrfach betont, können auch Kinder und Ju­gendliche – so wie jeder Erwachsene – das Wahlgesche­hen im Prinzip ignorieren. Faktisch werden sie jedoch unvermeidlich mit den Wahlen konfrontiert. Die tech­nisch- praktische Abwicklung des Wahlakts inklusive seiner Vorbereitung sowie der Zeitaufwand, den das Wählen erfordert, scheinen keine ernsthafte Hürde für junge Wähler darzustellen. Selbst Kinder, die nicht lesen können, werden das Ankreuzen auf dem Wahlzettel137 meistern, sofern sie motiviert sind. Das wiederum kann vorausgesetzt werden, da nach dem vorliegenden Vor­schlag nur Wähler existieren, die zuvor ihr Interesse be­kundet haben.

Problematisch könnte nach Ansicht der Kritiker die psychische Belastung werden. Was geschieht mit einem Kind, das sich nicht entscheiden kann, ob es überhaupt zur Wahl gehen soll? Welche Spannungen wirken auf ein Kind ein, das nicht weiß, wen es wählen soll? Wie geht ein Kind mit dem Konflikt um, wenn es zu einer Ent­scheidung gedrängt wird? Wäre es nicht besser, man lie­ße jedes Kind unbeschwert, anstatt ihm Verantwortung für die Politik aufzubürden? Die Politik sei nicht nur ein schwieriges Gebiet, heißt es, das selbst Erwachsene nicht verstehen. Sie sei auch ein schmutziges Geschäft, in das Kinder noch früh genug hineingezogen werden.

Maßgebliche Kindheitsforscher teilen diese Ansicht offenbar nicht: »Moderne Kindheitspolitik erkennt Kin­der so, wie sie sind, an und nicht nur in ihrer Funktion als zukünftige Erwachsene. Schließlich steht sie grundsätz­lich zur Subjektivität von Kindheit in allen sie betreffen­den Entscheidungsprozessen, auf individueller wie ge­sellschaftlicher Ebene.«138 Jedoch räumt diese Position die Schwierigkeit, die oben gestellten Fragen zu beant­worten, nicht aus. Weder lässt sich das Maß der aktuel­len Bedrängnis angeben, noch ist es bisher gelungen, ei­nen Zusammenhang zwischen den Bedrängnissen wäh­rend der Kindheit und den (Spät-)Folgen im Leben eines Menschen eindeutig herzustellen. Diese diffizile psycho­logische Frage kann das vorliegende Buch nicht beant­worten. Trotz der Schwierigkeiten halte ich es aber für unangemessen, so zu tun, als ob das Kinderwahlrecht eine Zumutung wäre, die das Ende der »heilen Kinder­welt« bedeuten würde. Ohnehin besitzen Kinder längst hohe Selbstständigkeit in den Bereichen der Mediennut­zung, des Freizeit- und Konsumverhaltens und der Bil­dungs- und Berufswahl und sind vielfältigen Einflüssen ausgesetzt.139 Um das Problem einzugrenzen, lässt sich auch hier wieder mit Hilfe plausibler Überlegungen differenzieren. Die ganz kleinen Kinder nehmen die wahlrechtsbedingte persönliche Überforderung natur­gemäß gar nicht wahr. Ältere (ab zwölf Jahren), die schon gut lesen können, sind der Anforderung gewach­sen, indem sie sich entweder für das Nicht-mitmachen entscheiden oder indem sie sich aktiv orientieren und Er­kundigungen einholen.

Es bleiben vor allem die etwa Sechs- bis Zwölfjähri­gen140, denen eventuell Gefahr durch Überforderung droht. Erfahrungsgemäß ereignen sich während dieses Lebensabschnitts etwa drei bis sechs Wahlen. Ich gehe davon aus, dass man durch das Wahlgeschehen höch­stens einmal im Leben, nämlich nur bei der ersten Kon­frontation, ernsthaft irritiert wird. In dieser Phase müs­sen Erwachsene besonders aufmerksam und hilfsbereit sein. Ein öffentliches Unterstützungsprogramm könnte der Erwachsenenwelt bestimmte Hilfen anbieten und Pflichten auferlegen, wie sie in den Abschnitten zu den Aufgaben der Parteien, Eltern und Medien behandelt wurden. Aber selbst wenn der Effekt, Kindern mit der Wahlbeteiligungsmöglichkeit belastende Verantwortung aufzubürden, nicht völlig zu vernachlässigen ist, relati­viert sich sein Ausmaß bei der Abwägung mehrerer Aspekte. Einige Kinder können vielleicht schlechte, ihr Leben nachhaltig beeinflussende Erfahrungen machen. Die Alternative, deshalb alle Kinder von der Wahl aus­zuschließen, ist eine Garantie dafür, dass weit mehr Kin­der negative Erfahrungen machen bzw. ihnen Chancen für ihre Persönlichkeitsentwicklung genommen werden.

Folgt man dem berühmten Kinderrechtler John Holt, so gibt es zwei Hauptgründe dafür, das Kinderwahlrecht zu fordern. Beim ersten Hauptgrund handelt es sich um »eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn ich von Entschei­dungen, die jemand trifft, betroffen bin, dann sollte ich an diesen Entscheidungen beteiligt sein. Wenn jemand Macht über mich hat, dann muss auch ich eine gewisse Macht über ihn haben.«

Um aber die Frage zu beantworten, ob man Kindern das Wahlrecht aufbürden soll, muss man vor allem auf den zweiten Grund schauen. Und wer könnte es besser formulieren als John Holt: »Der andere Hauptgrund, warum Menschen ihre Regierung und damit ihr Leben kontrollieren können sollten, ist der, dass sie dadurch informierter und verantwortungsvoller werden können und vielleicht auch werden. Die Menschen lernen nicht immer aus Erfahrung, aber ohne Erfahrung lernen sie überhaupt nichts. Und auch Erfahrung alleine ist nicht genug: sie müssen nicht nur Erfahrung machen, sondern auch die Möglichkeit haben, diese Erfahrung zu beein­flussen. Wenn das, was sie gewählt und entschieden ha­ben, für sie einen Unterschied bedeutet, ihr Leben ver­ändert, so werden sie allen Grund haben, zu versuchen, beim nächsten Mal klüger zu wählen und zu entscheiden. Wenn aber ihre Meinung ohnehin nicht ins Gewicht fällt und nichts ändert – wozu sich dann überhaupt noch Gedanken machen und den Kopf zerbrechen? Es ist nicht nur die Macht, die Menschen korrumpiert, sondern auch Ohnmacht. Sie macht teilnahmslos, träge, zynisch, un­verantwortlich und vor allem stupide.«141


111 von Braunmühl 1998; Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä.; von Schoene­beck 1990 (zu von Schoenebeck allerdings die wesentliche Kritik in von Braunmühl 1997)
112 siehe S. 145
113 Weitere Bedingungen, die nicht zum vorliegenden Thema gehören, wie etwa die Zugehörigkeit zum Staatsvolk sind von dieser verkürzten Formulie­rung natürlich nicht berührt.
114 Erster Halbsatz; im zweiten Halbsatz wird das passive Wahlalter geregelt, hierzu Kapitel 7.
115 Information des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 1997.
116 Die Einwohnerzahl liegt bei 82Mio., aber nur Deutsche sind wahlberechtigt.
117 Dürig 1998, S. XVIf.
118 Dürig 1998, S. XX, Hervorhebung im Original
119 Meines Erachtens könnte auch die Bedingung, Deutscher zu sein, wegfal­len. Es reicht aus, seinen Lebensmittelpunkt hier zu haben, also von politischen Entscheidungen betroffen zu sein (vgl. Schreiber 1999).
120 Jäger/Welz 1998, S.249
121 In den USA zählen alle Über-18-jährigen als wahlberechtigt, unabhängig davon, ob sie sich haben registrieren lassen.
122 Schreiber 1998, S. 88
123 Information des Landesamtes für Statistik Berlin
124 Schreiber 1998, S. 480
125 Schreiber 1998, S.486
126 Auch »des Lesens unkundige« Menschen behandelt das Gesetz als wahl­berechtigt, obwohl auch in deren Fall mangelhafte politische Urteilsfähigkeit vermutet werden kann.
127 Strafgesetzbuch §§ 107 und 108.
128 Die Auswirkungen der Möglichkeiten des Internets bei der Wahldurch­führung bleiben hier unberücksichtigt; siehe dazu Schreiber, 1999, S. 355.
129 Wenn alle zwei Jahre eine Wahl stattfindet, betrifft das bei einer jährlichen Geburtenrate von 0,6% bis 1% (Statistisches Bundesamt) pro Wahl durch­schnittlich nur max. 2% der Wähler.
130 Shell 12. Jugendstudie 1997
131 11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung 2002, S. 73.
132 Palentien 1997, S. 296
133 Wilk/Wintersberger 1996, S. 34f.
134 Vorstellbar ähnlich der Kampagne anlässlich der Einführung der Pflege­versicherung, die ebenfalls relativ breite Kreise der Bevölkerung betroffen hat, die zudem naturgemäß durchschnittlich überproportional viele Schwierigkei­ten mit Veränderungen haben.
135 Man muss sich im Klaren darüber sein, dass die Medien finanziell von Wer­bung abhängen – ein bereits heute bestehendes Problem. Die Wirtschaft kann so die politische Ausrichtung der Verlage oder Sender beeinflussen. Gegen diesen Effekt anzukämpfen ist eine ständige Aufgabe von politischem Journalismus.
136 Beck 1999
137 Siehe auch der Hinweis auf Wahlgeräte, die auch in Deutschland prinzi­piell erlaubt sind und in den USA denjenigen Menschen helfen, die wegen ihrer Leseschwierigkeiten früher mit Hilfe von inzwischen verbotenen Lesefähigkeits­tests (literacy tests) vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. (Jäger/Welz 1998, S. 248). Zudem gibt es die Möglichkeit, Hilfspersonen hinzuzuziehen.
138 Wilk/Wintersberger 1996, S. 37
139 vergl. Hengst 1996
140 Auf die Kindheits- und Jugendforschung käme es zu, derartige Schätzun­gen zu untermauern.
141 Holt 1978, S. 119